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Archiv-Artikel

ADRIENNE WOLTERSDORF über OVERSEAS Korruption beim Coiffeur

Mein mexikanischer Friseur kann Washington nicht ausstehen – die Spielregeln kennt er allerdings

Auch in Amerika sind die Migranten frustriert. Die, die schon lange hier sind, weil immer noch Neue nachkommen. Und die Newcomer, weil man sie nicht reinlassen will. Oder weil sie in den USA sind, obwohl in der alten Heimat alles besser zu sein scheint. So wie mein Friseur. Er heißt Ramone und kommt aus Mexiko, woher auch sonst. Letzte Woche war er bei der großen Demo der Migranten in Washington. Er hatte eine US-Flagge dabei, eine kleinere von Mexiko, und trug ein weißes T-Shirt. So hatten es alle spanischsprachigen Radiosender der Stadt seit Wochen empfohlen. Die Hispanics sollten auf jeden Fall aller Welt zeigen, dass sie von ganzem Herzen friedliebende US-Bürger sind – oder es so schnell wie möglich werden wollen.

„Die können mich mal“, sagt Ramone und meint: „die Amerikaner“. Leute wie er also, die auf diesen Kontinent gehören. Aber wenn Ramone verächtlich „die Amerikaner“ sagt, meint er die Weißen, eben die, die seiner Meinung nach völlig nichtsnutzig und faul sind. „Ohne uns sind sie nichts“, redet er sich in Rage, während er meine Haare schneidet und schimpft. Er kann Washington nicht ausstehen, obwohl er hier schon seit 15 Jahren mit seiner Familie lebt. Er als Latino sei hier seines Lebens nicht sicher, die Polizei nehme Leute wie ihn dauernd hoch, für alles müsse man Geld auf den Tisch legen. Die Politiker seien miserabel. Alles hier sei „Money, money, money“, das kotze ihn an.

Ich mache mir Sorgen um meine Frisur. Wie sieht ein Haarschnitt bloß aus, wenn er mitten in die Immigrationsdebatte gerät? Muss ich nun für die Ausbeutung der Mexikaner durch den amerikanischen Kapitalismus mit einem missratenen Pagenschnitt büßen? Ramone zerrt und zubbelt an meinem Hinterkopf und schnaubt weiter: „Die haben doch Angst vor der Sonne! Wenn wir hier nicht die Jobs machen würden, die die Faulsäcke nicht mehr machen wollen, dann läuft hier nichts mehr.“

Um ihn abzulenken, erzähle ich, dass ich aus Berlin komme. Da will er glücklicherweise im Sommer zusammen mit seiner Freundin und dem griechischstämmigen Kollegen Leall hinfahren. Leall hat sich in ein Berliner Model verliebt, deshalb geht’s im Juli nach Deutschland. Ich bin froh, das Thema, während Ramone meinen Pony schneidet, auf Positives gebracht zu haben. Clubs in Berlin. Techno, ja, und alles relaxed, nein, wenig Sympathien für die Amis. Prima, der Pony ist geschafft. Dann fragt Ramone, wie das denn mit den Deutschen und den Migranten sei. Seine Schere ist an meinem rechten Ohr. Ich ziehe den Kopf ein. Da er im Sommer hinfährt, muss ich ehrlich sein: „Also, es ist so, dass die Deutschen nicht gerade …“ Ramone wird zum Telefon gerufen.

Als er zurückkommt, ist er gut gelaunt und schwärmt davon, wie viel besser das Essen in Mexiko schmeckt. Überhaupt seien dort die Menschen ehrlicher, die Herzen größer, das Geld unwichtiger, die Avocados schöner. Ich frage ihn, ob er denn nicht lieber in Mexiko leben wolle. Nein, natürlich nicht, antwortet Ramone. „Unsere mexikanischen Politiker sind völlig korrupt, alle sind korrupt. Wer was will, muss Geld hinlegen.“ Außerdem sei es gefährlich in Mexiko.

Zweimal ist er dort schon überfallen worden, weil er „aussieht wie ein Gringo“, meint Ramone nicht ohne Stolz. Er hat lange Haare und trägt coole Clubkleidung. Die mexikanische Polizei hat ihn schon angemacht, weil sie ihn für einen Schwulen hielt. Letztes Jahr konnten er und seine Freundin einer Bande nur deshalb ungeschoren entkommen, weil er auf einem Bein aztekische Schlangen-Tattoos hat, die ihn als echten Mexikaner ausweisen. Er zeigt mir seinen Unterschenkel. Die Schlange bewahre ihn vor dem Bösen. Nach dem Erlebnis will er sich noch viel mehr davon tätowieren lassen und hofft, damit in Zukunft bei Verwandtenbesuchen in der Heimat sicherer zu sein.

Während Ramone einpackt, frage ich ihn, warum er Mexiko eigentlich für ein so viel besseres Land hält als die USA. „Wir Mexikaner sind wenigstens ehrliche Leute. Bei uns weiß jeder, dass alle korrupt sind. Übrigens: Föhnen macht 5 Dollar extra.“

Fragen zur Korruption? kolumne@taz.de Morgen: Jan Feddersen PARALLELGESELLSCHAFT