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Archiv-Artikel

ACHSE DES POP VON KIRSTEN RIESSELMANN

Wir sagen

Silbermond sind in nur zwei Jahren zu den neuen Scorpions frühgereift – zu einer mit fies authentizistischen „Wir sind anders“-Gesten dekorierten Konsensmaschine, die fließbandmäßig kollektivierende Anti-Jammerigkeit ausspuckt. Im letzten Jahr haben sie alle großen Live-Festivals bespielt, einen Newcomer-Echo eingeheimst, ihr Debüt 800.000-mal verkauft – und mit der scheußlichen Single „Symphonie“ einen Hit gehabt.

Formal ist man auf dem neuen Album beim Silbermond-Rezept geblieben: Schüttle-dein-Haar-Rock durchsetzt mit Schwenk-dein-Feuerzeug-Balladen. Inhaltlich hat man das Thema „Symphonie“ im Sinne von „Zusammen-Klingen“ ausgearbeitet: weniger Beziehungsstress aus der Ich-Perspektive, mehr „Wir so“. Schon der Opener kracht nu-metallisch mit der These „Wir könnten viel mehr als ein Wort sein“ auf den „Wir sind Deutschland“-Acker. Wenig später heißt es: „In Zeiten wie diesen ist es Zeit, neu anzufangen – wir haben längst schon bewiesen, dass wir die Kraft haben, Mauern zu Fall zu bring’.“ Mit einem gefühligen Wind of Change im Rücken rocken Silbermond für eigenverantwortlich um das gesamtgesellschaftliche Wohl bemühte Ringelshirt-Träger. Aufstehen sollen sie und Gesicht zeigen, klaro gegen Nazis und 90-60-90 sein – und chorisch gegen’s Wettrüsten. Denn die Zeit eilt. Silbermond verquicken barocke Vanitas-Motive und kommunitaristische Motivationslyrik mit gut gewirkter Rockmusik. Leider sehr zeitgemäß.

Silbermond, „Laut gedacht“ (Columbia/Sony BMG)

Nichts sagen

Jeanette Biedermann hat einen nicht geringen Anteil daran gehabt, dass Silbermond groß geworden sind – 2004 nahm sie die Sachsen als Vorband mit auf ihre Tour. Das haben Silbermond, dafür darf man ihnen herzlich gratulieren, nicht mehr nötig. Denn Jeanette spielt in einer wirklich anderen Liga. Das ehemalige „GZSZ“-Sternchen und „Star Search“-Jurymitglied schafft es mit ihrem schon fünften Soloalbum, wirklich keinerlei Anstoß für Hirnaktivität zu liefern. Die Frau, die sich als die Inkarnation des „kleinen Energiebündels“ vermarkten lässt, ist endgültig zum glattesten Klon internationalen weiblichen Großpopschaffens mutiert. Die Liste der Zitate und Gleichklänge ist so einfach wie erwartbar: Britney, Avril, Christina, Pink, Pink, Pink.

Textlich denglischt sich Jeanette durch das Arztköfferchen der Rockröhrigkeit: Liebe halt die ganze Nacht durch, das Baby burnend, nachts am Strand mal ein „electric date“. Dass Jeanettes Stimmchen bei all dem an keiner Stelle kommensurabel ist mit der feist aufproduzierten Riffrock-Instrumentierung, versteht sich – da können auch die ständigen Hall- und Vocodereffekte nichts richten. In Berlin, Mexiko und L. A. – hallo! – hat Jeanette das Album aufgenommen – und herausgekommen ist, wie sie im Booklet vermeldet, ihr bislang „intimstes und eigenständigstes“. Ihre Mitte habe sie gefunden, weil sie in dieser Zeit getan habe, „was meine Seele ist, nämlich Musik“. Was sie eigentlich getan hat, ist schlicht: bestürzend.

Jeanette: „Naked Truth“ (Kuba Music/Universal)

Entzückendes machen

Und jetzt noch eine überraschende Nachricht: Jasmin Wagners erstes Soloalbum ist richtig gut. Zur Erinnerung: Zwischen 1995 und 2000 war Jasmin Wagner Blümchen („Herz an Herz“, „Kleiner Satellit“) und blühte mit ihrem piepsigen Happy Hardcore so sehr, dass sie zur erfolgreichsten deutschen Sängerin der Neunziger erklärt werden darf – zweimal sogar bekam sie den Echo als beste nationale Künstlerin. Danach sah man sie als TV-Moderatorin – ein Album, das sie mit Inga Humpe und Uwe Fahrenkroog-Petersen 2004 aufnahm, wurde auf ihren Wunsch hin nie veröffentlicht.

Jetzt aber „Die Versuchung“. Entgegen aller Erwartung passiert hier Folgendes: Jasmin Wagner goes indie. Sehr subtil natürlich – alle Stücke sind sind purster Pop, sommerlich-unprätentiös, so mädchenhaft lockerflockig wie das Baumwollsackkleidchen, das sie auf dem Cover trägt. Aber das Schlagzeug, es blechert einfach zu sehr, das Schlagerhafte ist zu charmant und die Texte zu verspielt, als dass hier in Richtung Charts geschubst worden wäre. Die Texte stammen aus der Feder des Universalgenies Bernd Begemann, die Musik kommt von Michel van Dyke (Echt). Ein bisschen darf sich dann an Quarks und Paula erinnert werden, wenn Jasmin Wagner durchs „Schlechte Gewissen“ chansonniert oder mit „Komm schon werd’ wütend“ einen Ohrwurm-Knaller lanciert. Das grandios hingeplemperte Titelstück „Versuchung“ mit seinen fünf Wörtern Text könnte sogar Stereo Total zur Ehre gereichen.

Jasmin Wagner, „Die Versuchung“ (Polydor/Universal)