90 Minuten mit Andreas Schwab : Sturm, Stürmchen, Schweiz
Die Schweiz möchte gern mitspielen im Konzert der Hungrigen, nur weiß sie nicht, wie
Andreas Schwab schämt sich ein bisschen. „Ist nicht so eine Stimmung hier“, sagt der Macher der 68er-Ausstellung, die gerade in Frankfurt am Main zu sehen ist. Der Schweizer ist nach etlichen Jahren wieder zu Besuch im Tessin. Lugano, die mondäne Stadt am südlichen Zipfel des Tessin, wird gerade zugeregnet. Aber ein italienisches Restaurant hat zwei Flachbildschirme aufgestellt.
Schwab, der gelernte Handballer, sagt, „früher waren wir froh, wenn wir uns überhaupt für ein internationales Turnier qualifiziert haben, und jetzt soll gegen Tschechien schon ein Sieg her.“ In den ersten Minuten viele „Aaahs“ und „Ooohs“, minimale Chancen der Schweizer werden hoffnungsfroh kommentiert. Und dann, kurz vor der Halbzeit, knickt Alex Frei um, geht weinend vom Platz. „Typisch Schweiz“, sagt Schwab und nippt am nonalkoholischen Getränk, „dieser Frei, freut sich mächtig auf das Turnier und muss dann passen.“ Köbi Kuhn kommt ins Bild, dieser Mann, der für all die Gediegenheit steht, welche die Schweiz ziemt, etwas engagiert, ein wenig sieginteressiert, aber nicht wirklich leidenschaftlich. Schwab sagt spontan: „Ich bin froh, dass Hitzfeld bald kommt.“ Doch Kuhn ist noch mindestens zweieinhalb Spiele lang der Dirigent des eidgenössischen Stürmchens, das nicht wie Drängen wirkt. Schwab schreibt an Freundin Maja eine SMS. „Wir schießen bestimmt noch ein Tor“ – doch stattdessen machen die Tschechen genau das aus ihrer einzigen Tormöglichkeit. Im Nebenlokal jubelt es. Tschechen? Nein, jugendliche Italiener, die sich in Schadenfreude ergehen, weil Lugano eben ein tantiges Nest ist.
Andreas Schwab sagt sehr viel später, in Ascona, wo er das Spiel der Portugiesen gegen die Türkei sieht, „nun haben die Türken verloren – und wir spielen Mittwoch gegen sie, das ist gut für uns, denn wir sind ein kleines Land, in Mannschaftssportarten sind wir nicht gut“, was vielleicht so zu entziffern ist: Mensch, Leute draußen, wir möchten gern mitspielen im Konzert der Hungrigen, aber wir wissen nicht, wie! Ein Schweizer Freund schickt eine SMS ins Tessin: „Mich kann jetzt nur noch trösten, wenn Roger Federer in Paris gewinnt.“ Ihre aller Traurigkeit kennt also noch das Prinzip Hoffnung: Schweizer wundern sich über keine Niederlage, aber sie träumen von klar versenkten Treffern. JAN FEDDERSEN