80 zeilen Kulturhauptstadt : Robert Bücking: Infektiös natürlich
Bremen will den Titel: Seit einem Jahr betreut Martin Heller die Bewerbung als Kulturhauptstadt Europas 2010 – Zeit für eine Bilanz. Deshalb fragt die taz Kenner und Akteure der Szene nach dem Stand in Hirn und Herz. Heute: Robert Bücking, Orstamtsleiter Mitte / Östliche Vorstadt – kurz Viertelbürgermeister.
Wenn die Kulturhauptstadt ein Tier wäre, welches wäre sie?
Ein Virus mit hoher Mutationsrate. Infektiös natürlich.
Was hat die Bewerbung bisher mit Bremen gemacht?
In Bremen wächst der Respekt vor Kultur. Es entsteht neben dem ökonomistischen Diskurs ein eigenständiges und ausgreifendes öffentliches Nachdenken über Kultur. Das ist an und für sich schon mal prima. Es war ja kaum noch auszuhalten, wie in dieser Stadt jede Lebensäußerung nur noch an ihrem Beitrag zur Sicherung der Staatsfinanzen gemessen wurde. Dass die Bewerbung gleichwohl Bezug nimmt auf den großen politischen Rahmen, ist unvermeidlich und kein Schaden. Man wird wohl unterscheiden müssen, zwischen dem, was der Intendant sagt und der Wortmeldung der Künste, die er mobilisiert. Wie die Sache ausgeht ist also noch nicht ausgemacht.
Die Sache war sicher als großes Abschlussfest der Sanierung gedacht. Ein kleines bisschen auch als Korrektur im großen Versuch und Irrtum Spiel der Sanierungspolitik.
Soviel ist sicher: Die Veranstaltung wird in den Strudel der Schlussabrechnung der letzten zehn Jahre geraten. Mit ihren schönen teuren Bauprojekten tritt sie finanziell unweigerlich in direkte Konkurrenz zu den unendlichen Verpflichtungsermächtigungen auf anderen Feldern.
Es entscheidet sich vermutlich ziemlich schnell, wie ernst die Großstrategen der Koalition die Sache gemeint haben, wenn das Haushaltsdrama jetzt auch die Investitionen bedroht. Sie werden sehr rasch entscheiden müssen, woran sie festhalten und was sie opfern wollen.
(Liebe Katrin Rabus, könnte es denn nicht mit der Kulturhauptstadt-Bewerbung so ausgehen wie so oft mit guter Kunst? Die Auftraggeber bekommen den Pinsel nicht unter Kontrolle. Das Durcheinander der Zeit infiltriert den Auftrag. Die Sache entwickelt ihre eigene Dynamik. Da muss man doch zusehen und dabei sein.)
Was hat sich unmittelbar für Sie geändert?
Aus unserer Perspektive ist die Antwort einfach: Die Bewerbung zur Kulturhauptstadt beflügelt das Viertel. Die großen und schönen Bauprojekte beglücken uns, aber ohne sie verhungern wir nicht. Es kostet nicht viel, das Viertel systematisch zum Kulturdistrikt auszubauen, und es würde sich lohnen. Es geht um Mobilisierung der Begabungen, um Kooperation der Akteure und ein paar grandiose Ideen, die den öffentlichen Raum erobern. Es ist doch sowieso klar, dass zwischen der neuen Bibliothek, der Kulturmeile, dem Lagerhaus, dem Puff und dem Weserstadion die Kulturhauptstadt stattfinden wird. Darauf muss man den Stadtteil vorbereiten. Dann fördert man so nebenbei auch eine ökonomische Entwicklung, auf die auch die Sanierungspolitik abzielt.