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517 Morde, 355 Zwangssterilisationen

■ Geschichte der „Rotenburger Anstalten“ in der NS-Zeit aufgearbeitet

517 BewohnerInnen der Rotenburger Anstalten der Inneren Mission wurden zwischen 1949 und 1945 im Rahmen der „Eutanasie“ in andere Einrichtungen verschleppt und getötet, 355 weitere wurden im benachbarten Diakonie-Krankenhaus zwangssterilisiert, darunter 97 Frauen. Eine von ihnen und ein junges Mädchen starben nach den Eingriffen. Das Schicksal von weiteren 80 Menschen blieb bislang ungeklärt.

Das sind die Ergebnisse einer „Arbeitsgruppe zur Aufarbeitung der Vergangenheit“, die im Januar 1991 vom Vorstand der Rotenburger Anstalten berufen worden war. Ihre Dokumentation, die im Juni gedruckt vorliegen soll, wurde jetzt vorgestellt.

Schon vor der „Machtübernahme“ durch die Nationalsozialisten hätten „rassehygienische Vorstellungen“ Zustimmung gefunden. Auch in Rotenburg sei das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ begrüßt und konsequent durchgeführt worden. 1934 seien den Behörden rund 800 der 980 BewohnerInnen als erbkrank gemeldet worden, die allerdings nicht alle sterilisiert wurden, weil Rotenburg als geschlossene Anstalt galt und nur Menschen mit Kontakten zur Außenwelt der Zwangssterilisation unterlagen.

Wie Thomas Grotjahn, Mitglied der Arbeitsgruppe, sagte, ging die Mitwirkung der Rotenburger Anstalten weit über den damals gesetzlich vorgeschriebenen Rahmen hinaus. Zwangssterilisationen seien auch gegen den deutlichen Willen der Betroffenen und ihrer Vormünder erfolgt. Leitende Ärzte hätten Gutachten für „Erbgesundheitsgerichtsverfahren“ auch in etwa 80 Fällen über Menschen aus der Umgebung angefertigt. Auch nach dem zu Kriegsbeginn erfolgten Sterilisationsstopp sei in Rotenburg weiter unfruchtbar gemacht worden.

Eine erste „Euthanasie-Aktion“ habe es in den Rotenburger Anstalten bereits im September 1940 gegeben. Drei Juden seien nach Brandenburg gebracht und vergast worden. Im übrigen habe die Anstaltsleitung die Absendung von Fragebögen über die BewohnerInnen, die der Vorbereitung der Mordaktion dienen sollten, verzögert. Daraufhin sei eine Psychiaterkommission nach Rotenburg entsandt worden. Die Transporte in den Tod hätten im Juli 1941 begonnen. Die Opfer seien dann durch Nahrungsentzug, aber auch durch Medikamente getötet worden. epd

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