50 Jahre Gleichberechtigung per Gesetz: Als der Mann noch gottgleich war
Vor 50 Jahren trat das Gleichberechtigungsgesetz in Kraft. Damals waren Rollenverteilungen akzeptiert, über die wir uns heute die Haare raufen würden.
Vom Gleichberechtigungsgesetz erfuhr Hannelore Fuchs damals nichts. Obwohl der Deutsche Bundestag am 3. Mai 1957 die Gleichheit von Mann und Frau beschlossen hatte. "Da stand nichts drüber in der Zeitung, im Radio kam auch keine Nachricht", erinnert sich die heute 79-Jährige, die damals mit Mann und zwei Kindern als Hausfrau in Bonn lebte. "Die Leute interessierten sich ja nur für die große Politik".
Am Abstimmungstag hatte der SPD-Abgeordnete Karl Wittrock zu Beginn der Debatte sein Bedauern darüber ausgedrückt, "dass sich auf der Regierungsbank kein einziger Minister" befand. Vier Bundestagsausschüsse tagten gleichzeitig, viele Abgeordnete waren daher nicht erschienen. Man verschob die Sitzung auf den Nachmittag, um die Reihen etwas voller zu kriegen. Dann wurde ein Gesetz verabschiedet, das am 1. Juli 1958 in Kraft trat - und die Geschlechterverhältnisse im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) revolutionierte.
Nach dem alten Gesetz hatte der Mann das Recht gehabt, über das in die Ehe eingebrachte Vermögen der Frau zu entscheiden. Auch konnte die Frau nur dann eine Berufstätigkeit ausüben, wenn der Ehemann zustimmte. In allen Angelegenheiten besaß er ein "Letztentscheidungsrecht".
Diese Passagen wurden zwar gestrichen. Das alte Rollenverständnis aber blieb auch im neu gefassten Paragrafen 1356 des Bürgerlichen Gesetzbuchs erhalten. "Die Frau führt den Haushalt in eigener Verantwortung. Sie ist berechtigt, erwerbstätig zu sein, soweit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar ist", stand da.
Die traditionelle Rollenverteilung war damals selbstverständlich. "Da hat man gar nicht drüber nachgedacht", erzählt Hannelore Fuchs, eine gelernte Journalistin, die aus dem Beruf ausstieg, als ihre Kinder auf der Welt waren. Selbst Frauen, die während des Krieges erwerbstätig waren, "traten von dieser Rolle zurück, wenn die Männer zurückkamen", schildert Fuchs. "Die Frauen waren froh, diese Verantwortung los zu sein. Und Männer waren der liebe Gott." Als sie ihre Mutter fragte, warum sie keinen Beruf ausgeübt habe, antwortete diese: "Das hätte Papa doch nie erlaubt".
Den Vorhaltungen junger Frauen, warum man sich das alles habe gefallen lassen, begegnen die alten Damen mit Gelassenheit. Man ist sich der eigenen Lebensleistung bewusst. "Was heißt hier: nicht gearbeitet?", protestiert Lilo Wollny aus dem niedersächsischen Vietze, 82 Jahre alt und Mutter von fünf Kindern. "Wir hatten eine Bäckerei, Landwirtschaft und fünf Kinder - ist das keine Arbeit?"
Auch nach dem Gleichberechtigungsgesetz bekamen im Geschäft des Mannes mithelfende Ehefrauen wie Wollny keinen eigenen Lohn. Autorität übten die Frauen nur im Binnenverhältnis der Ehe aus. "Alles, was mit wirtschaftlichen, finanziellen Dingen zu tun hatte, war meine Sache", erzählt Wollny.
Oftmals wussten Frauen nicht über ihre Rechte Bescheid. Luise Balthasar, 84 Jahre alt, gelernte Dolmetscherin und Mutter von sechs Kindern, erinnert sich: "Als ich wieder anfing zu arbeiten, behielt ich von meinem Verdienst nur 100 Mark für mich. Von meinen Gehalt zahlte mein Mann Miete, Gas und Strom und hob auch das Restgeld ab. Das war irgendwie selbstverständlich."
Erst durch jüngere Kolleginnen erfuhr Balthasar, dass diese ihren Männern mitunter gar nicht mitteilten, wie viel genau sie auf dem Konto hatten. "Das war für mich eine Offenbarung", schildert die Berlinerin. Ihren richtigen Namen will sie nicht gedruckt sehen, "denn über Geld haben wir nie offen gesprochen".
Marianne Grimm, 70 Jahre alt, Mutter von drei Kindern und gelernte kaufmännische Angestellte, gibt zu bedenken, dass "Teilzeitstellen in den 60er-Jahren kaum angeboten wurden, das Wort gab es noch gar nicht." In ihrer Altersklasse waren vor allem Frauen in den Arbeiterberufen weiter berufstätig, wenn Kinder kamen. "Wäscherinnen, Büglerinnen, Frauen in der Fischindustrie, die mussten arbeiten, aus finanziellen Gründen", berichtet die Kielerin, die selbst zu Hause blieb. "Taschengeld habe ich nicht bekommen. Wenn ich etwas Neues zum Anziehen brauchte, haben wir daraus einen Einkaufsbummel gemacht."
Dass Männer im Haushalt mitarbeiteten, war so gut wie unbekannt, schildern alle befragten Frauen. "Das Waschen war ja früher noch Handarbeit, den Kessel von der Kochstelle nehmen, mit der Hand waschen. Da hätten sich Männer nicht die Hände schmutzig machen wollen", meint Balthasar. Heute beteiligten sich die Männer eher. "Da muss man ja vor allem Maschinen bedienen, Waschmaschine, Spülmaschine, das ist natürlich einfacher".
Aus der Ehe auszubrechen, kam für Frauen damals kaum infrage. "Geschiedene Frauen wurden untergebuttert. Die gemeinsamen Bekannten blieben beim Mann. Nicht mal Witwen wurden noch eingeladen", erzählt Balthasar.
Demütigungen, das ist für die heute 80-Jährigen ein größeres Thema als die traditionellen Rollenverteilungen, in denen sie sich nicht als Opfer sehen möchten. Alle befragten Frauen waren oder sind verbandspolitisch aktiv. Wollny wurde 1986 in den Bundestag gewählt. Am Tag darauf fragte sie ein Radioreporter, wie sie sich denn so als "Polit-Oma" fühle. "Ich habe ihm gesagt, die Antwort könne er kriegen, wenn er alle über 60-jährigen Männer im Bundestag gefragt hätte, wie sie sich als Polit-Opas fühlten", empört sich Wollny. "Eine solche Frage zeigt doch, dass die Gleichberechtigung in den Köpfen nach wie vor nicht gegeben ist."
Der Paragraf 1356 wurde erst im Jahre 1977 neu gefasst. Darin heißt es nun: "Die Ehegatten regeln die Haushaltsführung in gegenseitigem Einvernehmen …Die Ehegatten sind berechtigt, erwerbstätig zu sein. Bei der Wahl und Ausübung einer Erwerbstätigkeit haben sie auf die Belange des anderen Ehegatten und der Familie die gebotene Rücksicht zu nehmen." "Meine Kinder sagen heute: ,Was du dir von Papa hast gefallen lassen!' ", erzählt Balthasar. "Aber vieles stand damals eben nicht zur Debatte."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl