400 neue Mastanlagen: Die Schlacht ums Schlachten
400 neue Mastanlagen, 482.000 getötete Tiere am Tag: Bei Celle soll der größte Hähnchen-Schlachthof Europas entstehen. Gemeinderat stimmt trotz breiten Protests zu.
WIETZE taz | Die Gegend um Celle ist Fachwerk-Country. Man fährt durch Dörfer mit alten Bauernhöfen, vorbei an Wiesen, auf denen Störche staksen, die Felder stehen voll im Korn. Dann, am Ortseingang des Örtchens Wietze, sieht man Zelte und Bretterhütten: Eine Gruppe von jungen Tierrechtlern und Umweltschützern hat ein Feld besetzt. Seit dem 11. Juni verharren sie hier.
Denn an dieser Stelle will die im Emsland ansässige Futtermittelfirma Rothkötter einen Hähnchenschlachthof errichten - und zwar den derzeit größten Europas. Die Zahlen sind so immens, man erfasst sie gar nicht: Bei voller Auslastung der Anlage sollen hier 134.784.000 Tiere im Jahr geschlachtet werden. Das wären 2.592.000 Tiere in der Woche, 432.000 am Tag, 27.000 in einer Stunde. Im CO2-Tunnel betäubt, wie im Akkord an das Schlachtband gehängt.
Auch im Ort selbst hat sich längst eine Bürgerinitiative gegründet, auch sie will keine "legalisierte Tierquälerei im großen Stil". Außerdem fürchtet man um die Schönheit der Gegend, um die Struktur der Region.
Um den Schlachthof voll auszulasten, müssten 400 neue Mastställe für je 40.000 Hähne gebaut werden, gibt Firma Rothkötter zur Auskunft. Die Bürgerinitiative hat ausgerechnet: Das bedeutet täglich mehr als 100 Lkws zur Anlieferung der Hähne und 2,4 Millionen Liter Grundwasserentnahme pro Tag. Eine eigene Kläranlage, Gestank und jährlich etwa 60.000 Tonnen Hühnerkot. "Wer möchte in einem ,Naturpark Südheide' Ferien machen, der mit Mastställen überzogen ist und in dem man infolge der ausströmenden Ausdünstungen nicht mehr frei atmen kann?", fragt die Bürgerinitiative. "Wer möchte Reiterferien in der Lüneburger Heide machen, wo der Reiter von Maststall zu Maststall reitet?"
Die Linkspartei verweist auf falsche Arbeitsplatz-Hoffnungen und ungesicherte Verträge. Gemeinsam bombardiert man die Gemeinde, die Tourismusverbände, die zuständigen Behörden mit Anträgen, Unterschriftensammlungen und Briefen. Eine Allianz unterschiedlicher Gruppen und Gründe: Ein Hauch von Startbahn West liegt in der Luft.
Relativ unbeeindruckt davon zeigen sich allerdings die örtliche Politik und die Behörden, die, jede für sich, die unzähligen Anträge prüfen, die einem solchen Projekt vorausgehen. Am Mittwochabend hat der Gemeinderat dem Bebauungsplan und dem Flächennutzungsplan zugestimmt. Unter anderem stehen noch eine Genehmigung des Landkreis Celle und des Gewerbeaufsichtsamts in Lüneburg aus. Doch wenn man mit deren Vertretern telefoniert, hat man den Eindruck, dass dem Gang der Dinge nichts mehr im Weg steht. Das Veterinäramt beispielsweise gibt zur Auskunft: "Da es keine Hinweise auf tierschutzrechtliche, tierseuchenrechtliche oder lebensmittelrechtliche Zuwiderhandlungen durch die Realisierung des beantragten Bauvorhabens gab, hat das Amt keinen Gebrauch von den Einwändungsmöglichkeiten gemacht. Eine schriftliche Stellungnahme (an die übergeordnete Behörde) ist nicht erfolgt." So einfach kann Tierschutz sein.
Davon lässt sich die Bürgerinitiative Wietze nicht einschüchtern. Bei den Genehmigungsverfahren seien mindestens zwei wichtige Punkte übersehen worden: die Frage der Wasserversorgung und die Umwidmung in ein Industriegebiet. "Man hofft wohl auf einen psychologischen Effekt bei den Menschen: Na, dann werden die doch bauen", sagt der Vorsitzende Norbert Juretzko. "Das ist aber nicht so! Wenn elementare Mängel festgestellt werden, haben wir verschiedene Möglichkeiten, das auf juristischem Weg zu stoppen."
Mit den radikaleren Besetzern verstehen sich die bürgerlichen Schlachthof-Gegner gut. Die gehen ab und zu im Dorf duschen, eine Unterstützerin aus dem Ort kümmert sich um die schmutzige Wäsche. Immer sonntags wird im Camp veganer Kuchen gebacken. Da kann jeder kommen, es seien bereits einige Bürger da gewesen, erzählt ein Besetzer. Frieden in Wietze: Neben dem "Fleisch-ist-Mord"-Transparent flattert die Pace-Fahne im Wind.
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