300 Jahre Friedrich II.: Potsdam, das Fritz-Museum
Friedrich II. und Potsdam gehören zusammen wie Pech und Schwefel. Kein Wunder - der Alte Fritz hat die Stadt nach seinem Ideal aus preußischen, italienischen und französischen Stadtansichten entworfen
Es gibt Menschen in Potsdam, die behaupten, dass im städtischen Bauamt nicht der Baudezernent, sondern der Alte Fritz sitzt. Als Indiz führen sie die aktuelle bauliche Ästhetisierung der Stadt an, die an jeder Ecke die preußisch-barocke Geschichte wiederzubeleben sucht.
Richtig ist, dass sich die Architektursprache Potsdams seit dem Fall der Mauer wieder deutlich auf die 46-jährige Regierungszeit Friedrich II. (1712 bis 1786) und den preußischen Klassizismus bezieht: Symbole zur Vergegenwärtigung der Vergangenheit sind das Stadtschloss, der Umbau des Alten Markts, die Häuser am Kanal, Restaurierungen in Sanssouci, neue höfisch anmutende "Palazzi" im Rokoko, Kirchen, Straßen- und Platzanlagen. In der Summe und in ihrer Bedeutung dominieren die barocken und klassizistischen Zitate aus dem 18. und frühen 19. Jahrhundert die aktuellen Bauvorhaben der Stadt - zur "Wiedergewinnung des historischen Stadtbildes", wie Potsdams Bürgermeister Jann Jakobs (SPD) es nennt. Potsdam ist die Revision des nostalgischen Stadtraums wichtiger als seine moderne Fortschreibung. So gesehen könnte man meinen, das Bauamt pflege in der Tat mehr das mythisch-friderizianische Image als eine kritische Rekonstruktion oder gegenwartsorientierte Architektur.
Doch warum klebt dieses Erbe mit solcher Macht an der Stadt, fragten Kunsthistoriker und Architekten in der vergangenen Woche auf einer Veranstaltung der Urania-Gesellschaft in Potsdam zum Thema "Friedrich und Potsdam, die Erfindung (s)einer Stadt" im Rahmen des 300. Jubiläumsjahres. Weil Potsdam unter Friedrich II. "wie kaum eine andere Stadt in Europa von einem Herrscher in so kurzer Zeit so grundlegend nach persönlichen Vorstellungen umgeformt wurde", komme die Stadtentwicklung bis dato nicht los von dieser historischen Prägung, konstatierte etwa Jutta Götzmann, Kunsthistorikerin und Leiterin des Potsdam-Museums. Es scheint, dass trotz Stadterweiterung im 19. Jahrhundert, Kriegszerstörungen und Überformungen durch den sozialistischen Städtebau die baulichen Spuren des Monarchen bei Potsdams zentraler Stadtentwicklung den Ton angeben. Götzmann führte vor Augen, wie radikal Friedrich II. die Stadt umgestaltete: Mit der Thronbesteigung 1740 räumte er mit "dem elenden Nest Potsdam", wie er es unter seinem Vater, dem Soldatenkönig, empfand, gründlich auf.
Das Hauptaugenmerk des jungen Königs als höfischer und städtischer Bauherr galt dem Ausbau der "Garnisonsstadt" zur neuen "königlich-repräsentativen Residenz" sowie einer spätbarocken Schloss- und Parkanlage in Sanssouci, so Götzmann. Als absolutistischer Herrscher auch absolut frei in seinen Entscheidungen als Baumeister, legte Friedrich II. über den bestehenden Stadtgrundriss aus mittelalterlichen und barocken Vierteln einen zweiten: Ab 1744 begannen die Umbauten am Schloss und für den Lustgarten sowie der Bau von Stadtpalais, Straßen und Plätzen. Ab 1755 gestaltete Friedrich II. den Alten Markt um, außerdem wurden Schulen, Krankenhäuser und Manufakturen hochgezogen. 1770 wurde der Wilhelmplatz abgerissen und neu aufgebaut. Bis Ende des 18. Jahrhunderts wuchs Potsdam auf mehr als 20.000 Bewohner an, für die neue Quartiere, Beamten- und Handwerkerviertel entstanden. Hohe Militärs wohnten nicht schlecht, ebenso reiche Händler: Säulen, barocke Gärten, künstlich angelegte Hügel und Alleen strukturierten die neue städtische Topografie.
Schwerpunkt der Stadterneuerung aber war die Umgestaltung der Parkanlage von Sanssouci, auf die nun alle räumlichen Perspektiven zuliefen. Ab 1745 entstand das Schloss Sanssouci des Architekten Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff, später folgte das Neue Palais, in dem der Alte Fritz noch zeitweise residierte. Das Neue Palais, gebaut nach dem Siebenjährigen Krieg, war Friedrichs größtes Bauvorhaben in Potsdam: 634 Zimmer, ein fürstliches Theater und Konzertsäle waren hier untergebracht - eine edle Herberge für die königliche Familie und hochrangige Gäste wie Voltaire oder Casanova.
War Versailles das absolute Staats- und Machtsymbol Ludwigs XIV., bildete Friedrich "die ganze Stadt Potsdam nach seinem Ebenbild als Fürst", wie es der Architekturhistoriker Thomas Sander auf der Veranstaltung nannte. Als "Rendezvous mit dem Ruhm" sah und baute der Alte Fritz seine Stadt. Sie war nicht mehr demonstratives Gebilde der Stärke und Wehrhaftigkeit wie noch im Mittelalter, sondern Friedrichs Stadt- und Machtraum - die Verlängerung der Schlossfassaden von Sanssouci in die Stadt hinein.
Konsequenterweise, so Sander, folgte die Stadtplanung Potsdams unter Friedrich II. keiner wirklichen Auseinandersetzung mit der Stadt, sondern glich vielmehr "Bildern und Architekturtheorien des 17. und 18. Jahrhunderts". Potsdam war Friedrichs "Idealstadt", ist keine originär preußische Stadt, sondern entstand aus dem Geiste des italienischen und französischen Barock. Stadtansichten und Häuserfassaden von Rom, Verona oder Florenz spiegelte Friedrich nach Potsdam.
Der Palast Barberini oder das Brandenburger Tor in Potsdam etwa waren direkte Zitate römischer Architekturen. Antikentempel und Kolonnaden, Plätze und Gärten im Stil der Renaissance und des Barock lösten ab 1740 das harte und militärisch geprägte Bild der Garnisonsstadt, die Friedrich Wilhelm von 1713 bis 1740 gestaltete hatte, auf. Potsdam sei unter dem Alten Fritz keine preußische Soldaten- oder Bürgerstadt mehr gewesen, "der Alte Markt glich einer italienischen Piazza", erinnerte Götzmann. Adelshäuser kamen einem wie römische Kulissen vor, die Schlossbauten waren italienischen, die Gärten französischen Architekturen entlehnt. Orangerien, antikisierende Grotten, Rondelle und mediterrane Stadttore "belegen Friedrichs eindeutige Vorliebe für die italienische Architektur" - aber sie stehen auch für das ideale Sammelsurium. Der Alte Fritz baute sich sein Potsdamer Arkadien nach Lust und Laune.
Wenn diese Sehnsucht sich heute bei den großen städtischen Bauprojekten breitmacht, hat das seine Gründe - geht es doch um die Suche nach einer spezifischen Potsdamer Authentizität und Erbschaft aus der Zeit des Alten Fritz und seiner direkten Nachfahren in der Baukunst.
Problematisch wird das historische Wiederaufbauprogramm aber dann, wenn es - wie bei den neoklassizistischen Palazzi-Plänen hinter dem Alten Markt, beim Schloss oder auch bei der Garnisonkirche - normativ wird, mit der Abrissbirne daherkommt oder sich der Geschichte nur als Versatzstück sowie als Mythos bedient. Martin Sabrow hat am Beispiel der umstrittenen Aufbaupläne für die Garnisonkirche einmal erläutert, dass es für die Potsdamer Stadtentwicklung wichtig sei, die Erinnerungskultur nicht statisch zu begreifen. Nur ein reflektierter Umgang mit der architektonischen Vergangenheit, der auch ihre "Nachgeschichte nicht auslöscht, sondern vielmehr integriert", befriedige das "historische Orientierungsbedürfnis unserer Zeit" richtig.
Ein Potsdam nach dem "Ebenbild" des Alten Fritz wäre also fatal, seine Zukunft ein 300 Jahre altes Museum. Die Stadt steht für mehr, als nur Synonym für Friedrich II zu sein. Das deutlich zu machen ist die Aufgabe der Stadtentwicklung von morgen.
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