25 Jahre "Thriller": Geburtstagsfeier eines Untoten
Die Jubiläums-"Deluxe Edition" des Albums "Thriller" zeigt, was für ein Genie Michael Jackson mal gewesen - und wie tief er gefallen ist.
Heute erscheint ein Album, das die Welt nicht braucht, weil die Welt es schon hat. In geschätzten 104 Millionen Plattenschränken weltweit steht "Thriller", die bis heute erfolgreichste und - aber ja! - auch die beste Sammlung makelloser, mörderischer Popsongs ever. Oder zumindest seit dem 1. Dezember 1982, als dieses Album das erste Mal veröffentlicht wurde. Es befreite einerseits ein ganzes Genre auf alle Zeiten vom Vorurteil, nichts als dumpfe Gebrauchsmusik zum Rumhüpfen abzuliefern - und belegte andererseits den damals gerade mal 23-jährigen ehemaligen Kinderstar Michael Jackson mit dem Fluch eines Erfolges, dem er sein Leben lang hinter - oder davonlaufen sollte, je nachdem.
Dass "Thriller" nach genau 25 Jahren nun in einer "Deluxe Edition" neu aufgelegt wird, mag den drögen Gesetzen des Marktes folgen. Es erzählt aber auch etwas über den Markt, über die Musik, über Michael Jackson. Und natürlich über uns, die wir alle schon zu "Billie Jean" getanzt oder wenigstens mit den Fingern geschnippt haben - und zwar oft auch unwissentlich, wenn wir gar nicht das echte "Billie Jean", sondern nur eine der vielen produktpiratischen Kopien identischer Bauart hörten: Pat Benatars "Love Is A Battlefield", "Like A Virgin" von Madonna oder auch Bob Dylans "Tight Connection To My Heart".
Wer sich heute die tödliche Druckwelle nicht mehr so recht vorstellen kann, mit der "Thriller" damals auf dem Dancefloor und in der Popgeschichte detonierte, der vergegenwärtige sich nur die deutschen Nummer-1-Hits von 1982, als da waren: die Spider Murphy Gang mit "Skandal im Sperrberzirk"; Nicole mit "Ein bißchen Frieden"; Markus mit "Ich will Spaß"; Andy Borg mit "Adios Amor"; F. R. David mit "Words"; Culture Club mit "Do You Really Want To Hurt Me".
Auf "Thriller" war Michael Jackson schon so black, wie es eigentlich erst ein Vierteljahrhundert später Will Smith oder Barack Obama sein konnten - nämlich auf eine Weise, die von der weißen Mehrheit gar nicht mehr als abweichend oder besonders exotisch empfunden wird. Wenn überhaupt, dann höchstens als sexy. Das gilt für des Künstlers äußere Erscheinung, es gilt aber vor allem für die Musik.
Waren beim Vorgänger "Off The Wall" von 1979 noch Soul und Rhythm n Blues die vorherrschenden Elemente, übernahm drei Jahre später ein hybrider Elektropop das Regiment, den es in dieser Qualität noch nicht gegeben hatte: Er machte "Thriller", diesen kreativen Knotenpunkt subkultureller, vor allem aber schwarzer Einflüsse von Hiphop bis Funk, auch im weißen Mainstream anschlussfähig. Da war für jeden Geschmack was dabei. Da gab es ein Duett mit Paul McCartney ("The Girl Is Mine"), dem Jackson später die Beatles-Rechte abkaufen sollte. Da gab es mit "Human Nature" einen Song aus der Feder von ausgerechnet Steven Porcaro, Keyboarder bei Toto ("Rosanna"), einer der allerlangweiligsten Bands des vergangenen Jahrhunderts. Da sprach B-Movie-Ikone Vincent Price mit Grabesstimme das Intro zur Single "Thriller" - ein Job, für den sich der Schauspieler zuvor schon von Alice Cooper und im gleichen Jahr von Iron Maiden hatte anheuern lassen. Und da gab es, bei "Beat It", ein aggressives E-Gitarrensolo von Bilderbuchrocker Eddie van Halen.
Das eigentliche Geheimnis dieses Albums aber ist - neben Jacksons sexuell aufgeladenem Schluchzgesang natürlich - die avancierte klangliche Feinmechanik von Quincy Jones. Jones war es, der aus Beats und Bässen diesen emblematischen "Thriller"-Groove produzierte, der noch heute "zwingend" genannt werden muss und zu einem unverwechselbaren Markenzeichen des Albums geworden ist.
Umso absurder, dass bei den überflüssigen Remixen auf der "Deluxe Edition" genau dieser zeitlose Groove einfach fehlt - als bringe man "Star Wars" neu ins Kino, nur diesmal ohne die Lichtschwerter.
Trotzdem: "Thriller" markiert in seiner Größe die schwindelerregende Fallhöhe, die den kommerziellen wie künstlerischen Absturz des Michael Jackson erst so abgrundtief tragisch macht.
John Denver schaffte es, einen Hit namens "Leaving On A Jet Plane" zu landen und später mit dem Flugzeug abzustürzen. Frank Zappa gelang es, nach einem Song mit dem Titel "Why Does It Hurt When I Pee" tatsächlich an Prostatakrebs zu sterben.
Aber nur Michael Jackson war es vergönnt, sich leibhaftig in genau den Untoten zu verwandeln, den er im Video zu "Thriller" so überzeugend dargestellt hatte.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Trump und die Ukraine
Europa hat die Ukraine verraten
Trump und Putin
Bei Anruf Frieden
80 Jahre nach der Bombardierung
Neonazidemo läuft durch Dresden
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen