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Archiv-Artikel

24 stunden spreebogen, folge 16 Von 15 bis 16 Uhr

Herbst kann das Berliner Regierungsviertel auch gut. Die Landschaftsplaner haben nicht vergessen, Bäume zu berücksichtigen, die sich früh rot färben; sie sehen in diesen Tagen großartig aus. Und die Spree kann etwas Raues, Wildes kriegen, etwa da, wo ihre Wellen in Höhe des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses aufgeregt gegen die Treppenstufen schlagen, die an dieser Stelle bis auf die Wasseroberfläche hinunter gehen. Hier hätte sich Altkanzler Schröder, der bekanntlich Rilkes „Herbsttag“ auswendig kann, mal melancholisch sinnend fotografieren lassen sollen! Stattdessen posiert ein Hippiepärchen gerade vor einer Kamera. Er sitzt bärtig, langhaarig, mit buntem Pulli auf einem alten Fahrrad im schönen Herbstlicht. Sie steht glutäugig hübsch und in einem Kleid von indianischer Anmutung dahinter. Ein Modefotograf agiert sachlich davor. Mal was anderes als all die Kostüm- und AnzugvorzeigerInnen, die man auf dem Gelände sonst immer vor Kameras agieren sieht.

Einmal kurz um die Ecke liegt der Kunstraum im Deutschen Bundestag. Di.–So. 11–12 Uhr, Eintritt frei. Seit kurzem gibt es eine neue Ausstellung: „Feeling Material“ von Antony Gormley, kreisende Kohlezeichnungen auf Papier und große Metallskulpturen aus zusammengeschweißtem dicken Draht. Die Abgeordnete Petra Pau dankt im Gästebuch dem Künstler für seine „Denkanstöße“, einige Seiten vorher schrieb eine Claudia: „Ich war auch hier.“

Für Liebhaber ruhiger Orte ist dieser Kunstraum ein echter Tipp. Über zwei Etagen geht die Galerie, oft ist man allein mit dem Sicherheitspersonal des Bundestags – das allerdings gleich aus drei Security-Menschen besteht, deren Arbeit so ruhig zu sein scheint, dass sie sich Privatgespräche erlauben können. Eine Chance, die sie ausgiebig nutzen, nachdem man den Metalldetektor gleich hinterm Eingang passiert hat. Der Eingang zum geheimnisvollsten Ort der Bundestagsgebäude befindet sich gleich gegenüber. Zwischen Gardinen kann man durch große Fenster hindurch eine Sporthalle erkennen, in Handballfeldgröße. Vielleicht spielt da der Ältestenrat die Reihenfolge der Bundestagsprotokollanten aus. Gesehen habe ich in dem Raum noch nie jemand. Aber auf der elektronischen Anzeige überm Spielfeld stand es schon mal 3 zu 0.

DIRK KNIPPHALS

Wöchentlich geht der Autor eine Stunde lang durch das Regierungsviertel in der deutschen Hauptstadt – jede Woche eine Stunde später als in der Woche davor. – Von 16 bis 17 Uhr: am kommenden Samstag