24 stunden spreebogen, folge 12 : Von 11 bis 12 Uhr
Diesmal mache ich es mir gemütlich. Ich sitze in einem der drei sogenannten Vorderlader-Fahrradrikschas von Berlin: eine Art Hollywoodschaukel, vorne an ein stabiles Fahrrad montiert (bei den anderen 80 hiesigen Fahrradrikschas sitzt man eingeklemmt in einem Metallgestell hinter dem Fahrer und sieht weniger). Hinter mir strampelt Stephanie Bart, die Besitzerin der Rikscha, und gibt eine Stadtführung. 30 Euro kostet die Stunde. Wenn die Fahrerin etwas ins Pusten gerät, bei Anstiegen zum Beispiel, muss man heimlich ein schlechtes Gewissen niederkämpfen. Ansonsten ist das eine prima Art, das Regierungsviertel kennenzulernen.
Frau Bart bringt die historische Ebene ins Spiel. Vor der Schwangeren Auster, dem heutigen Haus der Kulturen der Welt, habe es früher einen Vergnügungspark gegeben. Beim Vorbeifahren verweist sie auf die Parkwege, an denen man immer noch ablesen kann, wo einst zentral die Musikkapelle gestanden hat, drumherum Buden und Restaurants. 1848 haben sich hier die Bürger versammelt, um ihre Forderungen an den König zu diskutieren. Wenn man so etwas hört, bekommt die heutige Stadtoberfläche sofort eine würdige Patina. Interessant auch zu erfahren, wie wenig zufällig ist an den heutigen Anlagen. Bei beinahe jedem Weg und jedem Gebäude kann man etwas erklären.
So ist das Band des Bundes, das Ensemble von Bundestagsbüros und Kanzleramt, bewusst in einer Ost-West-Achse ausgerichtet; es stemmt sich so gegen den Entwurf Albert Speers für eine Nazi-Welthauptstadt Germania, der einer Nord-Süd-Ausrichtung folgte. Wo heute Lücken sind, waren früher Straßen. Und immer wieder haben Stadtplaner und Architekten Bonbons versteckt; so sind die neuen Pfosten in den Durchfahrten des Brandenburger Tors oben viereckig, in der Mitte achteckig und unten rund, als Anspielung auf die alten Anlagen von Pariser Platz, Leipziger Platz und Mehringplatz, die einst ihrer Form gemäß Karree (oder auch Quarrée), Oktogon und Rondell hießen. Solche Details liebt sie, sagt Frau Bart.
Wie sie denn das heutige Regierungsviertel findet?, frage ich sie noch. Mit der Regierung kann man ja nicht zufrieden sein, sagt sie. Aber das Regierungsviertel findet sie „atemberaubend gelungen“. DIRK KNIPPHALS
Wöchentlich geht der Autor eine Stunde lang durch das Regierungsviertel in der deutschen Hauptstadt – jede Woche eine Stunde später als in der Woche davor. – Von 12 bis 13 Uhr: am kommenden Samstag