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Archiv-Artikel

2005 IST DIE NOTHILFE VORANGEKOMMEN – ABER NOCH NICHT GENUG Neuer Tsunami, alte Probleme

Tote im Urlaubsparadies machen Eindruck. Die Tsunami-Katastrophe in Asien vor knapp einem Jahr forderte mehr Opfer als jedes vergleichbare Naturereignis auf der Welt, und zugleich brachte sie mehr Bewegung in die internationale Debatte um humanitäre Hilfe als sämtliche Kriege zusammen. Die Spendenwelle nach der Flutwelle war für Hilfsorganisationen ein Triumph, aber auch ein Problem. Einerseits erwies sich, dass die Bewohner der reichen Industrienationen sehr wohl hilfsbereit sein können – andererseits wurde deutlich, dass die unübersichtliche Welt des professionellen unpolitischen Humanitarismus auf so etwas eigentlich nicht vorbereitet ist. Allzu oft fehlt es ihr an Koordination und politischem Weitblick.

Das Jahr 2005 hat in diesen Problemfeldern aufschlussreiche Entwicklungen gebracht. Es war ein Jahr, in dem Katastrophen und internationale Appelle zur Hilfe für Bedürftige zur Normalität wurden – von der Dürre in Niger über das Erdbeben in Kaschmir bis zu den Wirbelstürmen in den USA. Und genau diese Normalität erzwang ein neues Denken in der humanitären Hilfe. Letzte Woche richtete die UNO endlich den seit Jahren von Helfern geforderte ständigen Hilfsfonds ein, in den Geberregierungen auf Vorrat einzahlen können, auch ohne Zweckbindung oder direkten Anlass. Und in Fachkreisen wird intensiver denn je über verbindliche Standards und Arbeitsweisen bei der humanitären Hilfe diskutiert, über eine stärkere Verzahnung zwischen unmittelbarer Nothilfe und den Bedürfnissen der Armutsbekämpfung.

Das sind ermutigende Zeichen. Aber es sind bisher lediglich Ansätze für die Zukunft. Wenn es zu Weihnachten 2005 erneut eine dem Tsunami vergleichbare Katastrophe gäbe, wäre die internationale Reaktion nicht wesentlich anders als vor einem Jahr. Und die wirklich dramatischen humanitären Katastrophen der Erde, auf die UN-Verantwortliche bei jeder Gelegenheit hinweisen – ethnische Säuberungen im Sudan, andauernde Gewalt in Kongo und Uganda – sind nach wie vor nicht im breiteren öffentlichen Bewusstsein als dringende Notlagen verankert. Tote in Gegenden, die Europäer nicht kennen, machen in Europa auch weiterhin keinen Eindruck. DOMINIC JOHNSON