1989: Die Kirchen: Revoluzzer auf Gottes Gehaltsliste

1989 IN DER DDR Die Kirchen waren eine treibende Kraft der friedlichen Revolution. Die Pfarrer waren finanziell unabhängig vom Staat, was mutige Aktionen erleichterte.

Martin-Michael Passauer, Pfarrer der Sophienkirche in Mitte, trieb der heilige Zorn. Ausgerechnet in seiner Kirchengemeinde hatte sich im Frühling 1989 ein Kameramann der Stasi postiert, um von dort eine demonstrierende Menschenmenge zu filmen. Zwecks Überwachung. Als der spätere Berliner Generalsuperintendent den Mann aufforderte, sich auszuweisen und seinen Namen zu nennen, antwortete der: "Hau ab, du Arsch!" Der Geistliche meint dazu heute trocken: "Vielleicht finde ich in meinen Unterlagen irgendwann noch Spuren dieses Mannes mit dem seltsamen Namen: Hau ab, du Arsch."

Die Kirchen haben in der DDR vor 20 Jahren eine entscheidende Rolle bei der Überwindung der SED-Diktatur gespielt - das ist heute in der Geschichtswissenschaft zum untergegangenen Arbeiter-und-Bauern-Staat weitgehend Konsens. Und eine der wichtigsten Initialzündungen für die "friedliche Revolution" vor zwei Jahrzehnten war das Engagement von Christinnen und Christen bei der Aufdeckung der staatlich angeordneten Fälschungen der Kommunalwahlen am 7. Mai 1989.

Schon am 8. Januar dieses umwälzenden Jahres hatten Ostberliner Umwelt- und Menschenrechtsgruppen in einem offenen Brief die "Christen in der DDR" dazu aufgefordert, bei den Kommunalwahlen eigene Kandidaten aufzustellen. Später überwachten Christen überall in der DDR die Wahlen und konnten nachweisen, dass die Einheitslisten der DDR keineswegs die offiziell verkündeten fast 99 Prozent der Stimmen erhalten hatten. Am 10. Mai erhoben Kirchenobere beim Staatsrat gar Einspruch gegen das Wahlergebnis - ein Tabubruch. Von hier führte eine abschüssige Bahn am Ende zum gewaltlosen Sturz des waffenstarrenden Regimes.

Die Frage ist nur: Warum waren es gerade die Kirchen und viele einzelne Christen, die diese wichtige Rolle für die Opposition spielen konnten? Das liegt unter anderem an der offenen Rede, die unter dem Dach der Kirchen gewagt werden konnten. Gottesdienste konnten nicht einfach per Versammlungsrecht verboten werden. Pfarrerinnen und Pfarrer waren finanziell unabhängig vom Staat, was mutige Aktionen erleichterte. Pfarrer Rainer Eppelmann, einer der führenden Dissidenten in Ostberlin von der Samariterkirche in Friedrichshain, lobt die "soziale Absicherung": "1966 war ich acht Monate im Zuchthaus. Zum Glück war ich damals noch allein! Später als Familienvater wusste ich: Wenn sie mich einsperren, wird die Kirche mich weiterbezahlen. Meine Frau und die Kinder hätten nicht hungern müssen."

Die Geistlichen waren den Umgang mit Menschen und die öffentliche, freie Rede gewohnt. Das half. Außerdem verfügten sie über wichtige Details wie Säle für Versammlungen und Büromaterialien, Abzugsmaschinen und Telefone, geschützte Gelände und unübersichtliche Gebäude mit Hausrecht.

Von Bedeutung waren zudem Pressekontakte, gerade mit westdeutschen Medien. Auch die gute Ausbildung in eigenen Quasi-Universitäten wie dem "Sprachenkonvikt" an der Borsigstraße in Mitte für das Theologiestudium trug zum Selbstbewusstsein der Opposition bei. Trotz einiger Anpassungen und gelegentlicher Opportunismen gab es innerhalb der Kirche "eine Grundsolidarität, die trug und verlässlich war", so Passauer.

Dazu kam ihm zufolge ein falsches Denken der hierarchieversessenen Stasi-Oberen, die glaubten: Wenn man die Kirchenoberen gewinnt, sind die unteren Chargen, die Pfarrerinnen und Pfarrer, ruhig. Aber die kirchliche Opposition in der DDR war eben gerade nicht von oben nach unten, sondern eher von unten nach oben entstanden. Es gab nicht die wenigen Rädelsführer, die die Stasi stets suchte und unschädlich machen wollte, sondern viele unabhängige, freche Protestanten. Allein in Ostberlin gab es zur Wendezeit die aufrührerische Zions-, Gethsemane-, Bartholomäus-, Samariter-, Golgatha-, Elias-, Sophien-, Bekenntnis- und Erlöserkirche. Der DDR-Staats- und Parteichef Erich Honecker hatte es schon richtig erkannt, die Gotteshäuser waren oft zu "Parteihäusern" geworden: Sie nahmen Partei für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung, frei von SED und Staat.

Dieser Einsatz der Kirchen war nicht ungefährlich. Allein auf Rainer Eppelmann waren nach dessen Recherchen 41 inoffizielle Mitarbeiter der Stasi angesetzt. Noch im Januar 1989 hatte Honecker verkündet, die Mauer werde "noch in 50 und 100 Jahren stehen". Im Februar wurde der 20-jährige Chris Gueffroy bei einem Fluchtversuch in Berlin durch Grenzsoldaten erschossen. Demonstranten wurden, etwa in Leipzig an der Nikolaikirche, von der Staatsmacht malträtiert und verhaftet. Anfang Juni wurden friedliche Proteste chinesischer Studenten in Peking blutig niedergeschlagen - das SED-Regime erwog auch diese "chinesische Lösung".

Es gab Pläne für ein Mordkomplott gegen Rainer Eppelmann - er sollte in seinem Trabi sterben. Laut Stasi-Bericht "wurden mehrere Varianten geprüft (Radmuttern lockern, in der Kurve Scheibe zerstören, vor der Kurve Spiegel aufstellen)". Die Pankower Pfarrerin Ruth Misselwitz, die noch heute in Pankow amtiert, sollte laut Stasi-Unterlagen bei einem Fahrradunfall zu Tode kommen. Beim Berliner Stadtjugendpfarrer Wolfram Hülsemann drangen Spitzel selbst in seinen engsten Kreis vor. Pfarrerinnen und Pfarrer wurden auch psychisch fertiggemacht. Liebesaffären wurden ihnen nachgesagt, Alkoholsucht unterstellt, einer Pfarrerin gar ein Vibrator geschickt. Die Schmierigkeit dieser Aktionen sagt alles über die Angst des Regimes vor dieser unkontrollierbaren Kraft mitten im Lande.

Und: Die protestantische Kirche lebte den Protest seit Luthers Zeiten. Sie konnte sich in Gottesdiensten auf Texte berufen, die alles sagten und nie verboten werden konnten. Passauer nennt etwa eine Stelle im 22. Kapitel des 2. Samuelbuches: "Der Herr macht meine Finsternis licht, denn mit dir kann ich Kriegsvolk zerschlagen und mit meinem Gott über Mauern springen." Was war daran schon angreifbar?

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