: 100.000 Leser sind möglich
Roland Berger ist der bekannteste Unternehmensberater Deutschlands. Was würde er der taz raten? Ein GastbeitragVon ROLAND BERGER
Ich glaube, dass sich die Medienbranche erheblich verändern wird. Wir werden erleben, dass mehr Werbe- und Vertriebsumsätze in die elektronischen Medien abwandern. Am Ende wird nicht das Fernsehen der Gewinner sein, sondern das Internet. Die Kategorie Zeitung ist bedroht. Dennoch: Die taz hat eine Nische gefunden, die nicht nur relevant ist, sondern auch interessant.
Als Unternehmensberater kann ich keine Ratschläge aus dem Bauch heraus geben; ich müsste das Unternehmen genau analysieren. Zwar weiß ich beispielsweise, dass die finanziellen Mittel der taz begrenzt sind – aber nicht, wie begrenzt sie wirklich sind. Ich müsste wissen, ob die taz kreditfähig ist. Ich müsste sehr viel mehr über die Leserschaft wissen und über die tatsächliche Ausrichtung dieser Zeitung. Ich müsste wissen, was die taz will.
Trotz all dieser Einschränkungen: Die taz hat schlicht eine ziemliche Alleinstellung auf dem deutschen Zeitungsmarkt. Sie ist wesentlich bekannter als kommerziell erfolgreich. Und die taz hat kein schlechtes Image – außer bei Menschen mit Berührungsängsten. Dort hat sie den Ruf, extrem links zu stehen; sie gilt als eher „kommunistisch“.
Genau dies begrenzt heute den Leserkreis. Viele potenzielle Leser entscheiden sich aufgrund ihrer Reputation als linke Instanz gegen die taz – und vernachlässigen den Reflexionscharakter und die Fähigkeit der taz, Themen zu setzen. Aktionen wie die, die taz einen Tag lang von Bild-Chefredakteur Kai Diekmann gestalten zu lassen, passen nicht in das Bild, das viele sich von ihr machen, und sind außerhalb des Abonnentenkreises und der Medienwelt zu wenig publik. Das Potenzial liegt darin, diese Fähigkeit, Themen zu setzen, auszubauen und bekannter zu machen, statt in der zugeschriebenen Rolle als „Kampfblatt“ der Linken zu verharren. Die Intelligenz und der Humor der taz-Autoren, ihre Schlagzeilen, ihre Recherche und die Wahl ihrer Themen gibt der taz die Möglichkeit, ihre Leser täglich aufs Neue zu überraschen und herausfordern. Dies gelingt nicht vielen. Damit kann sich die taz für ein größeres Publikum als bisher gerade als positive gesellschaftskritische Zeitung etablieren – und jede fundierte Gesellschaftskritik ist positiv. Denn kein Mensch wird sagen, dass in unserer Gesellschaft, und nicht nur in der deutschen, alles in Ordnung ist.
Deswegen glaube ich, dass es unter den 35 Millionen Haushalten in Deutschland, von denen viele wohlhabend sind, noch fünfzig- oder hunderttausend mehr geben könnte, die ansprechbar sein müssten für den besonderen Charakter der taz.
Auch als Marketingmann weiß ich: Sind der Bekanntheitsgrad eines Produkts höher und sein Image besser, als es dem derzeitigen Umsatz entspricht, fällt es leichter, dieses Erzeugnis zu verkaufen als im umgekehrten Fall. Und die taz kann hier punkten. Deshalb hat sie ein großes Potenzial.