10 Jahre nach Tschernobyl: Das AKW des Diktators
■ Zehn Jahre nach der Katastrophe von Tschernobyl ist in Rumänien das Atomkraftwerk Cernavoda eingeweiht worden Aus Bukarest Keno Verseck
Zehn Jahre nach Tschernobyl erinnern rumänische Politiker und Medien nicht mehr an die katastrophalen Folgen, die der Reaktorunfall im Land hatte. Rumänien war damals nach Rußland, der Ukraine und Weißrußland am meisten von radioaktiver Strahlung betroffen. Der Diktator Ceaușescu hatte Schweigen verordnet – und Jodpillen, welche die ahnungslose Bevölkerung schlucken mußte.
Zehn Jahre nach Tschernobyl überschlagen sich rumänische Politiker und Medien im Jubel über den Eintritt des Landes „in den Klub der Nuklearnationen“. Gestern feierten sie „eines der bedeutendsten Ereignisse in der modernen Geschichte Rumäniens“: die Inbetriebnahme des rumänischen Atomkraftwerkes Cernavoda. Ans Netz angeschlossen wurde der erste von fünf 650-Megawatt-Reaktoren des kanadischen Typs Candu. Er soll nach sechsmonatiger Probezeit spätestens Ende des Jahres Strom liefern und etwa 8 Prozent des rumänischen Energiebedarfes decken.
Bei der Einweihung des Reaktors waren der kanadische Ministerpräsident Jean Chretien, Staatspräsident Ion Iliescu, Ministerpräsident Nicolae Vacaroiu und fast die gesamte Exekutive des Landes anwesend. Gemeinsam lobten sie die politischen und ökonomischen Fortschritte Rumäniens und die ausgezeichneten Beziehungen beider Länder. Ein hoher Funktionär der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) bezeichnete Rumänien als „führendes osteuropäisches Land bei der Atomenergietechnik“ und meinte, Cernavoda sei „das sicherste Atomkraftwerk in ganz Osteuropa“.
Vergessen wurde im Jubel, daß es sich beim Atomkraftwerk um das wohl größenwahnsinnigste Projekt des Diktators Ceaușescu handelte und sowohl Kanada als auch die IAEO noch vor nicht allzu langer Zeit erhebliche Sicherheitsbedenken hatten. Ceaușescu hatte im Rahmen seiner Autarkiepolitik Ende der siebziger Jahre entschieden, daß Rumänien vom Rest der Welt energieunabhängig werden müsse. Zusammen mit der kanadischen Atomenergieagentur wurde der Bau Cernavodas 1980 begonnen. Kurz vor dem Sturz Ceaușescus hatte Kanada einen Ausstieg aus dem Projekt geplant, weil selbst kanadischen Nuklearfirmen die Ignorierung von Sicherheitsstandards kriminell erschien. Eine Kommission der Internationalen Atomenergiebehörde stellte im September 1990 eine 140 Punkte lange Mängelliste zusammen, in der unter anderem sowohl die schlampige Ausführung der Bauarbeiten als auch die mangelnde Ausbildung der rumänischen Spezialisten kritisiert wurden.
Trotz finanzieller Probleme hatte Rumänien die Bauarbeiten nach einjähriger Pause Ende 1991 wiederaufgenommen. Der erste Reaktor, der 2,2 Milliarden Dollar gekostet hat, sollte bereits Ende 1994 in Betrieb gehen, konnte aber aufgrund der Finanzierungsschwierigkeiten erst jetzt angeschlossen werden. Ungesichert ist das weitere Schicksal der restlichen vier Reaktoren in Cernavoda. Rumänien selbst kann den Weiterbau nicht finanzieren. Doch allein für den Reaktor zwei, der etwa zur Hälfte gebaut ist und im Jahr 2000 in Betrieb gehen soll, hat das Land nach mehrjähriger Suche noch keine Investoren gefunden. Für ihn werden weitere 800 Millionen Dollar benötigt.
Zweifel kommen auch bei den Sicherheitsvorkehrungen auf, obwohl der Betreiber des AKW, der staatliche Energiemonopolist Renel, immer wieder behauptet, alle Mängel seien behoben worden. Im Herbst letzten Jahres genehmigte eine Ministerialkommission die Einleitung von radioaktiven Abwässern in die Donau und den Donau-Schwarzmeer-Kanal, obwohl die Gesundheitspolizei des Kreises Konstantza dagegen protestiert hatte. Darüber hinaus ist Renel mit einer massiven Abwanderung von Spezialisten ins Ausland konfrontiert, die in Rumänien erbärmlich schlecht bezahlt werden.
In Cernavoda selbst können die Einwohner bei einem Reaktorunfall kaum fliehen. Die Stadt und das Atomkraftwerk sind durch den Donau-Schwarzmeer- Kanal vom Bahnhof getrennt, und die Regierung hat bisher kein Geld für den Bau einer Brücke zur Verfügung gestellt. Ungesichert ist auch noch die auf dem Gelände des AKW geplante Lagerung radioaktiver Abfälle. Mit dem Bau von mehreren Lagerstätten wird erst jetzt begonnen.
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