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Debatte zur IntegrationMuslimisierung der Muslime

Im Alltag der meisten Muslime ist der Glaube nicht dominant. Aber in der Fremde wird er für viele eine Form der persönlichen Sinnstiftung.

Das Kopftuch anlegen als Ausdruck der Suche nach Identität. Bild: dpa

M it der Frage, ob ich eine "richtige Muslimin" sei oder nur eine "Kulturmuslimin", werde ich seit dem 11. September häufig konfrontiert. Auf meine Rückfrage, was denn ein "richtiger Muslim" sei, bekomme ich zumeist zur Antwort: "Richtige Muslime" beten fünfmal am Tag, tragen ein Kopftuch und fasten im Monat Ramadan. Kulturmuslime hingegen sind "nur" in einem islamischen Umfeld sozialisiert worden, der Islam ist aber in ihrem alltäglichen Leben nicht mehr das allein prägende Moment.

Nach dieser Definition bin ich eines sicher nicht, eine Kulturmuslimin. Ich habe eine katholische Grundschule besucht, habe an der Schulmesse regelmäßig teilgenommen, durfte dort oft die Fürbitten vortragen, weil ich so schön lesen konnte. Ich bin groß geworden mit der Kinderbibel von Anne de Vries. Meine Eltern hielten es für wichtig, dass ich möglichst viel über die Religion der deutschen Mehrheitsgesellschaft weiß. Nicht, dass man mir den Koran für Kinder nicht gerne vorgelesen hätte. Aber seinerzeit gab es keine ordentliche deutsche Fassung für Kinder. So war ich lange Zeit weitaus bibelfester als koranfest. Keine Kulturmuslimin also, doch auch keine richtige Muslimin?

Glaube im Alltag

KATAJUN AMIRPUR

1971 als Tochter einer deutschen Mutter und eines iranischen Vaters in Köln geboren, ist Professorin für Islamwissenschaft an der Uni Zürich. Ihr Beitrag stammt aus dem "Manifest der Vielen" (Blumenbar Verlag), das am Donnerstag erschienen ist.

Dass der Islam eine Religion ist, die den Alltag seiner Gläubigen prägt und bis ins Detail hinein bestimmt, hört man im Westen häufig. Allein, es ist so nicht zutreffend. Denn auch im Alltag von zig Millionen Muslimen in der islamischen Welt und Europa spielt die Religion keine allzu dominante oder ausschließlich wegweisende Rolle. Deswegen würden sie sich aber dennoch als richtige, im Sinne von gläubigen Muslimen bezeichnen. Sie glauben an Gott und seinen Propheten, an die Auferstehung, an die Gerechtigkeit als dem wichtigsten Attribut Gottes. Trotzdem lassen sie auch schon mal das eine oder andere Gebet ausfallen. Und dies ist kein Phänomen der Moderne, sondern Geschichte und Gegenwart islamischer Gesellschaften.

Die meisten Muslime sind im säkularen Rechtsstaat durchaus schon seit einiger Zeit angekommen. Das meint zumindest Heiner Bielefeldt, der in Erlangen lehrt. In seiner Publikation "Muslime im säkularen Rechtsstaat" heißt es: "Eine aktive Abwehrhaltung gegenüber dem säkularen Staat ist in Deutschland jedoch offenbar Sache einer radikalen Minderheit unter den Muslimen. Die Mehrheit hingegen scheint sich mit den bestehenden Verhältnissen mehr oder weniger arrangiert zu haben."

Was bedeutet Muslimen dann aber das Kopftuch, das spätestens an dieser Stelle immer als Beweis für die mangelnde Integrationsbereitschaft von Muslimen angeführt wird? Spannende Untersuchungen dazu kommen aus Frankreich und stammen von der Soziologin Nilüfer Göle. Sie kommt zu dem Schluss: Oft ist das Anlegen des Kopftuchs nur Ausdruck der Suche nach der eigenen Identität. Religion sei ganz schlicht für viele Muslime eine Form der persönlichen Sinnstiftung in der Fremde.

Motive der Rückbesinnung

Ein weiterer Grund für die Rückbesinnung auf eine religiöse Identität dürfte die Reaktion der Mehrheitsgesellschaft auf Ausländer, die Muslime sind, sein. "Man kann nicht Deutscher werden" - dieses Fazit haben viele Migranten aus den Islamdebatten der letzten Jahre gezogen. Meist folgen Geschichten von Menschen, die sich voll integriert haben, die etwas geworden sind in diesem Land, die etwas tun wollten für dieses Land, und die sich nun in einer Mischung aus Stolz und Beleidigtsein zurückziehen. Warum? Weil der deutsche Kommunalpolitiker türkischer Herkunft gefragt wird, warum seine "Landsleute denn diesen Erdogan gewählt haben". Oder weil mir gesagt wird: "Dass du Professorin für Islamwissenschaft bist, ist ja auch naheliegend bei deiner Nationalität." Konfrontiert mit dieser Haltung meinen viele, sie müssten sich auf eine andere, auf ihre angeblich eigene kulturelle Identität besinnen. Nach dem Motto: Wenn ihr uns nicht haben wollt, dann eben nicht. So werden sie nationalistischer als Türken, die in der Türkei leben, und halten fest an einem Islam, der sich in den meisten Ländern der islamischen Welt längst den Gegebenheiten der Moderne angepasst hat.

Denken in Doppelidentitäten

Oder wieso sagt mein Vater, der einen deutschen Pass hat und sich in der deutschen Politik und der deutschen Sprache besser auskennt als viele seiner deutschen Nachbarn, noch nach vierzig Jahren, ich bin Iraner. Heute bin ich mir sicher: Es liegt nicht an ihm. Seine Verwandten, die in die USA immigriert sind, bezeichneten sich nach kürzester Zeit schon als Amerikaner. Dabei halten sie nicht weniger an ihrer iranischen Identität fest, zu der auch der Islam gehört, als mein Vater, doch nimmt man sie in den USA an mit ihrer Doppelidentität - und macht so allertreuste Amerikaner aus ihnen. Dagegen herrscht hier immer noch das Denken vor, Doppelidentitäten könne es nicht geben und man würde an ihnen zerbrechen - zumal, wenn es sich um zwei angeblich so unvereinbare handelt wie die europäische und die orientalisch-islamische.

So führt die Art und Weise der hier stattfindenden Diskussion über die Muslime erst dazu, sich selbst überhaupt als Muslim wahrzunehmen. Denn auch Menschen wie ich fühlen sich vor den Kopf gestoßen angesichts der Arroganz und Unverschämtheit, mit der über unsere Religion gesprochen und geurteilt wird. Für mich ist sie schließlich die Religion meiner Großeltern, die uns Werte vermittelt hat, die so schlecht nicht sein können. Nicht erst Europa hat aus ihrem Sohn, meinem Vater, einen aufgeklärten, liberalen, demokratischen Menschen gemacht. Das war er schon, bevor er nach Europa kam.

Statt permanent über die Integrationsfähigkeit der Muslime zu schwadronieren, sollte man Rechtsgehorsam von ihnen fordern - und sie alsdann in Ruhe lassen. Ob sie die neuerdings viel beschworenen christlich-jüdischen Werte und Traditionen verinnerlicht haben, kann man eh nicht überprüfen, auch bei den Naturdeutschen nicht. Es wäre also in der Tat hilfreich, dass Grundgesetz nicht auch noch christlich-jüdisch zu taufen, wie der Rechtsphilosoph Ernst-Wolfgang Böckenförde bemerkt hat. Denn damit schwächt man gerade den Rechtsgehorsam.

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11 Kommentare

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  • T
    tom

    In Zeiten Sarrazins & Co scheint es "normal" ein einheitliches Bild von Islam und Muslim@ zu schaffen. Wie auch hier wird, anstatt zu differenzieren, ein homogenes Bild geschaffen, welches mit Vorverurteilungen ausgeschmückt wird. So erscheinen Menschen nicht mehr als Individuen sondern als "die Anderen" und "die Fremden". Sie werden als von Grund auf verschieden von sich selbst bzw. der eigenen sozialen Zugehörigkeit wahrgenommen. Zu einem Feindbild ist es dann nicht mehr weit. Dieses hält dann für die eigene angst/hasserfüllte/arrogante Haltung her und drückt sich aktuell allzu gerne in antimuslimischen Rassismus aus. Hier berichtet ein Journalist, wie sich dieser im Alltag äußert:

    http://wochenendseminar.blogsport.de/2011/02/09/wdr-funkhaus-europa/

     

    Es gibt nicht "den" Islam und "die" Muslim@ sondern eine vielfältige Religion und individuelle Glaubensauffassungen. Wie auch unter Christ_innen gibt es viele Muslim@, die säkulare Auffassungen vertreten. Es scheint allerdings für Manche einfacher, sich von ihren Mitmenschen im voraus abzugrenzen als sich mit ihnen auseinanderzusetzen.

     

    @Martha Gegenfrage: Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass Kinder von christlichen Eltern ebenfalls Christ_innen werden?

  • M
    Martha

    @tom

     

    Sie schreiben:

     

    "Dass die Autorin sich ihren Glauben selbst aussuchte, schließt Du also von vornhinein aus? ..."

     

    Ich gehe davon aus, dass Sie scherzen, wir wissen doch alle, dass Kinder von moslemischen Elter zu fast 100% Moslems werden, oder kennen Sie Moslems die um Buddhismus konvertierten, oder einfach mal Atheisten wurden?

     

     

    Sie suchen sich selber den Glauben aus und komischerweise wird es fast immer der Islam?

     

    Zufall?

  • GA
    Gläubiger Atheist

    Sie machen es sich sehr, sehr einfach, als ein Atheist und Humanist muss ich ein Buch wie den Koran ablehnen, als jemand dem die Menschen das allerwichtigste sind, muss ich so ein zweifelhaftes Vorbild wie Mohammed ablehnen.

     

    Wie können wir in Frieden zusammenleben, wenn sie ein so grausames Buch und einen so inhumanen Menschen wie Mohammed verehren, wie soll das gehen?

     

    In dem Buch das von Muslimen so verehren wird, habe ich als Atheist sogar den Stellenwert eines Ungläubigen nicht, ich bin noch ein eine Stufe tiefer, in ihrem heiligen Buch wird meine Ehre, mein Recht auf Leben mir genommen.

     

    Ich möchte, dass meine Kinder in einer Welt ohne Rassismus, ohne Gewalt und auch ohne dem Islam aufwachsen. Ich sage meinen Kinder, dass sie den Islam ablehnen müssen, die Muslime sollen sie aber als Opfer dieser Politreligion sehen und ihnen die Hand ausstrecken.

  • T
    tom

    "Und da es in den USA kein soziales Netz gibt, kommen nur die Starken, Gebildeten und Leistungswilligen. Bei uns dagegen kommen zu viele von den Falschen - und anders als die weltfremden Intellektuellen bekommen die Leute im Land das eben zu spüren."

    Was für ein eklige neoliberale menschenverachtende Ansicht! Es gibt keine "Falschen". Was es allerdings gibt, ist ein falsches Wirtschaftssystem, welches Ungleichheit bis hin zu Armut und Tod produziert. Nur allzu verständlich, dass Menschen für sich und ihre Kinder ein Leben in Sicherheit und Wohlstand erreichen wollen und hierzu auch die Möglichkeit der Auswanderung nutzen.

     

    "Und was wird die Autorin? Natürlich Muslima, eine die deutsche Mehrheitsgesellschaft anklagende Muslima!

    Warum ist der Vater dort wieder dominanter als die Mutter?

    Noch mehr Beispiele?"

    Dass die Autorin sich ihren Glauben selbst aussuchte, schließt Du also von vornhinein aus? Aber ja, es "muss" ja (klischeehafterweise) ein dominanter Vater sein ...

     

    "Erstes ist richtig, Rechtsgehorsam fordern. Dann aber nicht in Ruhe lassen, sondern prüfen, ob dieser auch erbracht wird und wenn nicht sanktionieren und wenn nötig abschieben."

    Klasse, bespitzeln und im Zweifelsfall Herrenmenschmanier abkanzeln, kriminalisieren und abschieben. Apropos abschieben - also ich wäre für das Abschieben eingeborener weißer deutscher Straftäter nach Helgoland.

  • F
    Fordler

    "Statt permanent über die Integrationsfähigkeit der Muslime zu schwadronieren, sollte man Rechtsgehorsam von ihnen fordern - und sie alsdann in Ruhe lassen".

     

    Erstes ist richtig, Rechtsgehorsam fordern. Dann aber nicht in Ruhe lassen, sondern prüfen, ob dieser auch erbracht wird und wenn nicht sanktionieren und wenn nötig abschieben.

  • K
    Kati

    Wieso ist dann die Zuwendung zum Islam um so intensiver, wenn diese jungen Leute hier in der "Fremde" geboren und aufgewachsen sind? Kann es nicht vielleicht doch sein, dass nicht diese "Fremde" Anlaß für die Hinwendung zum radikalen Islam ist, sondern schlicht und einfach die Sozialisation im entsprechenden Milieu?

  • C
    Caro

    Die Autorin ist das beste Beispiel für "unser" Problem mit vielen Muslimen. Die Mutter Deutsche, Vater Iraner und Moslem. Und was wird die Autorin? Natürlich Muslima, eine die deutsche Mehrheitsgesellschaft anklagende Muslima!

    Warum ist der Vater dort wieder dominanter als die Mutter?

    Noch mehr Beispiele?

  • K
    Kotsch

    @ Heiner Meier:

     

    Sie beziehen sich in keinster Form auf das von Frau Amirpur Geschriebene.

     

    "Wahrhaftig geduldige Gastgeber"? Das ist genau das Problem. Wir "Migranten" sind keine Gäste.

     

    "Integration hat bei uns übrigens auch jahrzehntelang funktioniert - bis das Wirtschaftswunder vorbei war und sich die rotgrüne Sozial- und Migrationsindustrie aufblähte und lauter Sozialarbeiter/Migrationsforscher/Soziologen erschuf, die dringend ein unwilliges Prekariat brauchten."

    Na klar, auf einmal waren die integrierten Ausländer nicht mehr integriert.

  • HM
    Heiner Meier

    Frau Amirpur, Ihre Empörung läuft ins Leere.

     

    Nichts anderes als das Einhalten des Rechts fordert die Mehrheit von den eingewanderten Moslems. Und auch von den Russen, Polen, Japanern, Vietnamesen, Serben, etc. Keine dieser Gruppen hat en gros Defizite bei der Integration. Übermäßig viele Türken, Araber, Kurden und Perser aber schon.

     

    Das ständige Beleidigtsein, der Ehrenwahn, das Hinmetzeln von Mädchen, die westlich leben wollen, die hohe Kriminalitätsrate sind natürlich keine Pluspunkte auf der Sympathie-Skala in der Gastgesellschaft.

     

    Der Islam - in all seinen Facetten - wird sich genau wie die katholische Konfession unter Napoleon oder die evangelische Kirche unter Bismarck säkularisieren müssen.

     

    Wer Scharia und Koran über das Grundgesetz stellt und noch dazu keine Leistung bringen will, der hat hier eben nichts verloren. Genau deswegen funktioniert die Integration auch in Amerika: Dort ist der US-Ethos die Leitkultur. Basta. Und da es in den USA kein soziales Netz gibt, kommen nur die Starken, Gebildeten und Leistungswilligen.

     

    Bei uns dagegen kommen zu viele von den Falschen - und anders als die weltfremden Intellektuellen bekommen die Leute im Land das eben zu spüren.

     

    Integration hat bei uns übrigens auch jahrzehntelang funktioniert - bis das Wirtschaftswunder vorbei war und sich die rotgrüne Sozial- und Migrationsindustrie aufblähte und lauter Sozialarbeiter/Migrationsforscher/Soziologen erschuf, die dringend ein unwilliges Prekariat brauchten.

     

    Es geht auch anders. Vielleicht sind Sie irgendwann mal in Ludwigshafen. Dann können Sie sehen, wie viel die BASF für die angeworbenen Gastarbeiter getan hat: Sprachkurse, Wohnung, Job. Aber der Konzern verlangte eine Gegenleistung: Gute Arbeit und sozialverträgliches Verhalten. Dieses Einfordern einer Gegenleistung fehlt heute.

     

    Vielleicht sollten Sie genau diesen Job in den Moscheen übernehmen, anstatt sich über wahrlich geduldige Gastgeber zu echauffieren.

  • KE
    Kein Erfolg

    Diese Frau, die mich und die Meinen fuer unrein haelt, will mir einen Baeren aufbinden. Erfolglos.

  • C
    CoCo

    Die Aussagen von Frau Amirpur decken sich mit eigenen Erfahrungen und klingen logisch.