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■ Normalzeit

Heilige Kommunikation ■ Von Helmut Höge

In immer mehr Haifisch-Bars reden die Gewinner vom neuen Berlin. Das alte klammert sich jedoch noch mit aller Macht an die Theken. Während LKA und BKA die schon lange tot geglaubte „Kiezmiliz“ jagen, wurde das von ihnen geräumte Feld des Sozialen von so genannten „Quartiersmanagern“ gesäumt. Der Manager des Wrangel-„Wunder-Kiezes“ startete sogar eine Plakatwerbeaktion für sein Wirkungsfeld, das er dabei gleich zu einem lebens-, sogar überlebenswerten hochjubelte (dabei geht es eigentlich nur um ein weiteres Rieseneinkaufscenter). Heutzutage wirbt jeder gerne mit Großplakaten, sogar Politik und Welthungerhilfe. Und die Kirchen stellen ihre Türme für Blow-Up-Kampagnen zur Verfügung. Dagegen hilft nur: Immer mehr Graffiti! Während die Plakatwände den idiotisierten Konsumenten aufklären, spricht das Graffito zum eigensinnigen Bürger.

Das ist nicht leicht, wie man zu Weihnachten sehen konnte: Während des ganzen übrigen Jahres „kommunizierten“ wir wie verrückt und wie befohlen. Das Hauptweihnachtsgeschenk in Deutschland war denn auch das Handy. Zum großen Familienfest kommt man jedoch zusammen, um miteinander zu reden. Kein Mensch telefoniert wie sonst an diesem Abend mit Freunden und Comrades in Crime bzw. Geschäftspartnern. Der Heilige Abend ist das letzte Refugium gegen das bereits von Baudrillard vor Jahr und Tag nostalgisch kritisierte Gebot: „Wir dürfen nicht mehr miteinander reden, wir müssen kommunizieren!“ Zu Weihnachten müssen wir dagegen reden – und dürfen nicht kommunizieren! Schöne Bescherung. Die Folge: Überall gab es fürchterlichen Streit! Am dicksten kam es natürlich in Brandenburg, wo Väter auf ihre Söhne einschlugen bzw. umgekehrt, und ganze Sippschaften sich an Alleebäumen rieben. Aber auch in Berlin war die Hölle los.

Allein in unserem unmittelbaren Wohnumfeld Wiener Straße kam es zu einem Halbdutzend bitterster Zerwürfnisse mit Heulen und Zähneklappern – bis hin zu finsteren Selbstmordgedanken. Von Mordplänen ganz zu schweigen. Aber das sind alles nur kleine Zeitzäsuren der Umkehrung, des Auf-den-Kopf-Stellens, so wie der karnevaleske Silvester. In der zähen Wirklichkeit geht die Entwicklung weiter – von der Kiezmiliz über den Quartiersmanager zum illegalen Gebietskomitee.

Das i. G. wurde auf Deutsch 1959 zum ersten Mal beschrieben: vom zweifachen Helden der Sowjetunion Alexej Fjodorow, und handelt von einer der größten Partisanenabteilungen der Ukraine, deren Kommandant der Autor war. Durch die Bolsewik Partizan kam das i. G. in die Welt. Und man erinnerte sich rechtzeitig daran. Während Ex-Bundeskanzler Kohl im ZDF aussagte, mit den illegalen Millionenspenden nach 89 die „Betriebsgruppen“ seiner Partei im Osten gestärkt zu haben, die gegenüber der damals noch omnipräsenten PDS „mit dem Rücken zu Wand“ kämpften, gingen danach vor allem die kleinen Gruppen und Individuen links von der PDS in die Illegalität – das heißt, ihre zunehmend besser honorierten Muggen tauchten in keiner Steuererklärung mehr auf. Mit zunehmendem Finanzdruck geschah dies auch in Westberlin – weitete sich das System der „Gebietskomitees“ bis nach Schöneberg und Steglitz aus. Wenn auch dort die Muggen meist scheinlegalisiert waren.

Dafür waren sie weitaus höher veranschlagt, was zum Teil durch die höheren Spesenrechnungen rechts und links des Ku’damms wieder ausgeglichen wird – wie die Nutzer meinen. So stellte z. B. ein dort ansässiger Unternehmensberater seinem Freund im selben i. G. – einem Geschäftsführer in Marzahn, dem er telefonisch mit Informationen über einen Westgeschäftsführer aushalf – für seine „Recherche“ 5.000 Mark in Rechnung. Sein „Freund“ ignorierte einfach alle Geldforderungen. Und nichts geschah! Auch hier heißt es anscheinend: Es gilt das gesprochene Wort.

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