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Archiv-Artikel

■ „Männer wollen nicht länger arbeiten“: Unter diesem Motto stemmen sich bundesweit immer mehr Männer gegen die politischen Forderungen nach Arbeitszeitverlängerung Männer gegen das Rollback

Den Impuls gab der Bremer Arbeitswissenschaftler Helmut Spitzley, 500 machen bundesweit mit. Die taz traf einige Mitstreiteraus Bremen Eva Rhode

Bei der Jobsuche stand er vor der Frage: „Wähle ich das familiäre Aus oder das berufliche?“ Der Stahlwerker sagt: „Kinderzeit? Die hätten damals gesagt, der spinnt doch wohl!“

Über 500 Männer in ganz Deutschland stemmen sich jetzt gegen die Forderung nach Arbeitszeitverlängerung. „Männer wollen nicht länger arbeiten“, titelt ihr „Offener Brief“ an den Vorarbeiter der Nation, Bundeskanzler Gerhard Schröder. Auch Familienministerin Renate Schmidt hat den Brief bekommen. Ebenso die Fraktions- und Parteispitzen, der Arbeitgeberverband und der Deutsche Gewerkschaftsbund.

„Wir waren doch auf dem richtigen Weg“, haben darin die Vertreter einer Art neuer Männerbewegung formuliert. Die Antwort auf Massenarbeitslosigkeit müsse Umverteilung lauten – nicht Ausweitung der Arbeitszeiten, schrieben die Urheber der Aktion, der Bremer Arbeitsforscher Helmut Spitzley und der Stuttgarter Gewerkschafter und Herausgeber der Väterzeitung „Paps“, Werner Sauerborn. Aber es geht ihnen um mehr als um „Arbeit für alle“.

Die Unterzeichner treten an zu einem Verteidigungskampf – damit der Zug nicht zurück in die 50er Jahre rollt und Arbeitszeiten verlängert werden, so dass Kinder und Familie noch weniger unter einen Hut passen als bislang schon. „Wir wollen gesellschaftlichen Rückschritt nicht widerstandslos hinnehmen“, sagen sie. Männer als Alleinernährer der Familie – dieses Kapitel müsse Vergangenheit werden.

„Uns geht es auch um Geschlechtergleichheit“, sagen viele der Unterzeichner. Der Jargon verrät, aus welcher Ecke diese Bewegung gestartet ist: Überwiegend Wissenschaftler, Arbeitsforscher, Geisteswissenschaftler und Ökonomen, Gewerkschafter und Betriebsräte gehören zu den Erstunterzeichnern. Frauenbeauftragte streuen das Schreiben begeistert in ihren Kreisen – die sich allerdings die Unterschrift verkneifen müssen.

„Ich glaube, hier sind nur Männer gefragt.“ Das hat Mario Bernabeo jedenfalls vorsichtig seiner Frau vermittelt, als die wie viele andere Partnerinnen gerne unterschrieben hätte. Doch der Gründer des linken Buchladens im Bremer Szeneviertel Ostertor winkte ab. Die Männer wollen unter sich bleiben mit ihrem Zeit-zum-Abgeben-Aufruf. Worauf andere, wie der Bremer Ex-Grüne und Ex-Bürgerschaftsabgeordnete Helmut Zachau, spitz bemerken: „Ich kenne auch weibliche Workaholics. Die sollten auch weniger arbeiten!“

Vorerst setzen die Männer digitale Zeichen: Der Schneeball, der in kurzer Zeit mit mittlerweile über 500 Unterschriften ein kleineres Lawinenformat annahm, rollt vor allem im Internet: Gewerkschafter, ehemalige Grüne und Sozialdemokraten rufen sich an, schicken sich den Forderungskatalog zu – und klicken sich unter maenner-gegen-laenger@paps.de dazu. Einige Prominenz steht mittlerweile auf der Liste. Der Sozialethiker Friedhelm Hengsbach, der Vorsitzende der deutschen Gesellschaft für Zeitpolitik Ulrich Mückenberger, der IG Metall-Vize Berthold Huber, der Familientherapeut Wolfgang Schmidbauer, die „Sams“-Autoren Paul Maar und Ulrich Renz, die Wirtschaftswissenschaftler Jan Priewe und Rudolf Hickel, die Gesundheitsexperten Gerd Glaeske und Rainer Müller sowie der Attac-Koordinator Peter Wahl und der Sänger Konstantin Wecker.

„Innerhalb weniger Tage haben sich zwischen Rosenheim und Kiel vom Schreinermeister, Krankenpfleger, Bankkaufmann, Arbeitsmediziner, Unternehmer und Elektriker bis zu den Männern des SPD-Ortsvereins Villingen-Schwenningen dem Aufruf angeschlossen“, gibt Mit-Urheber Spitzley bekannt. „Es haben sich uns auch viele junge Männer angeschlossen“, betont er.

Das muss er auch. Denn das Durchschnittsalter der frühen Unterzeichner, darunter zahlreiche arrivierte Wissenschaftler und altlinke Rentner, liegt locker über 50 Lebensjahren. Und mancher reagiert empfindlich auf die Frage: Warum erst jetzt diese Bewegung? Kommt sie nicht 30 Jahre zu spät?

„Das ist aber eine sehr abstrakte Geschichtsbetrachtung“, reagiert darauf der ehemalige Betriebsrats-Chef der früheren Bremer Stahlwerke, Eike Hemmer, etwas unwirsch. „Vor 30 Jahren ging es darum, die lähmende Starre dieser Nachkriegs-BRD zu durchstoßen, die Grauen des Faschismus und das Schweigen darüber.“ Es entwickele sich eben alles durch Auseinandersetzung. Wie viele seiner Mitunterzeichner stand er schon 1978 auf der Straße – für die 35-Stunden Woche. „Auch die Frauen haben gekämpft“, erinnert er sich noch an „schmerzhafte Prozesse“ einerseits und an starre Normen und Umstände gerade in den Metall- und Stahlbetrieben andererseits. „Kinderzeit? Die hätten damals gesagt, der spinnt doch wohl!“ Vielleicht sei die Aktion ein etwas spätes Erwachen, räumt er ein. Aber weniger wichtig werde das Anliegen dadurch nicht. „Wir haben im gewerkschaftlichen Kampf schließlich etwas durchgesetzt. Das geben wir nicht so einfach auf.“

Männer wie der Soziologe André Holtrup vertrauen darauf. Als Doktorand an der Universität Bremen gehört der 30-Jährige zu den Arbeitsplatzaspiranten von morgen. Bekäme er eine feste Stelle, wäre er privilegiert, stellt er fest – und bei einer 30 Stunden-Woche noch immer ausreichend bezahlt. Als Vater einer kleinen Tochter allerdings stand er bei der Jobsuche schon vor der Frage: „Wähle ich das familiäre Aus – oder das berufliche?“ Kurzfristig sei es verlockend einfach erschienen, den Abschied von der Familie zu wählen. Jetzt ist Holtrup froh, diesen Schritt nicht gegangen zu ein. Es müsse sich noch viel verbessern, sagt er. Vorerst stemmt er sich aber gegen das Rollback.

„Wir wollen die Chance erhalten, dass Männer ihre Familien erleben können“, sagt vom Christlichen Dienst in der Arbeitswelt auch Referent Peter Korten. Der 48-jährige Teilzeit-Beschäftigte wird in diesen Tagen zum zweiten Mal Vater. „Wir leben ein spannendes, aber aufwändiges Modell“, sagt er zufrieden über seine Beziehung. „Aber diese Flexibilität kostet auch viel Bereitschaft zu Absprachen.“ Angesichts der Arbeitsmarktlage jedoch sei jede Debatte über Arbeitszeitverlängerung „wahnwitzig“.

„Meine Jungens sagen immer: Gib Arbeit, gib Arbeit“, schildert der Quartiersentwickler Joachim Barloschky die Erfahrungen, die ihn zum Unterzeichnen bewogen haben. Kein junger Mensch im Problemstadtteil Neue Vahr könne verstehen, wenn er als 52-jähriger Angestellter des Öffentlichen Dienstes länger arbeiten solle, während die jungen Leute händeringend und erfolglos Jobs suchten. „Natürlich wird weniger Arbeiten auch weniger Geld heißen“, sagt Barloschky – und fragt die Freundin, ob sie da einverstanden wäre. „Das geht klar“, kommt die Antwort. Und: „Anne will auch kürzer arbeiten.“

Vielleicht wird die Aktion ja in der erhofften Debatte über Arbeitszeiten, gesellschaftlichen Umbau und ein neues Geben-Nehmen-Verhältnis münden. „Allerdings sind die heute 20-, 30-Jährigen ziemlich anders drauf als wir damals“, beobachten viele Unterzeichner. Kritisch ergänzen die einen, man müsse „den neuen Machos“ etwas entgegen halten. Die anderen, vor allem 68er, stellen fest: „Die Jungen haben zu Geld und Leistung ein unbefangeneres Verhältnis.“ Dabei klingt durchaus Bewunderung mit. Und auch ein wenig Neid darüber, wie vergleichsweise leicht aktives Vater-sein für junge Männer heute sei. Und Großzügigkeit mischt sich mit Väterlichem, wenn Mario Bernabeo beispielsweise sagt: „Warum sollen wir der jungen Generation nicht offen halten, was uns gut getan hat?“ Dann stellt der alternative Buchhändler klar: „Den Helmut Spitzley, den habe ich übrigens vor Jahren über die Kindergruppe kennen gelernt.“ Damit niemand glaube, hier ginge es um eine vorwiegend politische oder akademische Veranstaltung.