Der taz FUTURZWEI-Fernsehtipp : Die Besten müssen mitmachen
Regisseur Lars Jessen will mit Anke Engelke, Bjarne Mädel, Annette Frier und Axel Prahl zeigen, was besser ist, wenn man es anders macht.
Von KLAUS RAAB
Anke Engelke und Bjarne Mädel wollen nicht mehr hören, wie schwierig alles ist. Sie wollen Menschen besuchen, die sich aufgemacht haben in eine neue Zeit – in Hamburg, in Karlsruhe oder in Sprakebüll. Das ist die Idee der sechsteiligen SWR-Reportagereihe „Wir können auch anders“ von Laura Lo Zito und Lars Jessen, die im März in der ARD läuft. Und das ist eine ziemlich gute Idee. Denn sie weist einen viel zu selten genutzten Ausweg aus einem Dilemma, in dem Fernseh-, Film- und Medienschaffende generell stecken: Wie erzählt man von der Klimakrise, ohne allzu vielen Leuten auf den Keks zu gehen?
Anruf bei Regisseur Lars Jessen. Seine Antwort lautet, sinngemäß: Man muss es positiv tun, fragend, interessiert, motivierend, zukunfts- und veränderungslustig. »Ich glaube sehr an die Kraft des Positiven und des Mitnehmens«, sagt er. »Und die besten Erzählerinnen müssen mitmachen.«
Best-Practice-Beispiele und positive Vibes
Die Besten, also zum Beispiel: Anke Engelke, die sich in einer Folge der Reihe von Gents Vizebürgermeister erklären lässt, wie der Autoverkehr in der Stadt halbiert und der Stadtkern komplett autofrei wurde. Und Bjarne Mädel, der sich in Greifswald im Gespräch mit einem sehr amüsanten niederländischen Professor für Moorkunde und Paläoökologie erklären lässt, wie man die trockengelegten Moore wieder feucht kriegen könnte, ohne Bauern ihr Anbauland wegzunehmen. Neben ihnen gehen vier weitere Schauspielerinnen und Schauspieler in „Wir können auch anders“ auf die Suche nach Best-Practice-Beispielen: Annette Frier und Axel Prahl, Pheline Roggan und Aurel Mertz. Alles Leute, die sich mit der Zukunft der Menschheit schon einmal befasst haben und die, wie Lars Jessen sagt, »einen relativ breiten Querschnitt abdecken und nicht nur in die eigene Bubble abstrahlen«. Sie reisen von A wie Ahrtal bis W wie Würzburg, um positive Vibes von Menschen abzugreifen, die im Kleinen schon angefangen haben mit dem besseren Leben.
Jessen, 53, hat zunächst dokumentarisch gearbeitet, bevor er auch Kino- und Fernsehfiktion zu drehen begann. Klima- und Umweltfragen beschäftigten ihn schon in seinem Spielfilmdebüt „Am Tag, als Bobby Ewing starb“ – das war der Tag der Atomkatastrophe in Tschernobyl. Für „Für immer Sommer 90“ bekam er 2021 den Grimme-Preis. Er sagt, er wolle keine Geschichten erzählen vom Verzichten, »davon, was wir verlieren, wenn wir ein anderes Leben leben«. Er wolle von dem berichten, was wir gewinnen. Er sei »überzeugt, dass man da ein anderes Publikum ansprechen kann«. Auch jenes, zum Beispiel, das sich zum Teil schon durch Begriffe wie »Klimaschutz« und »erneuerbare Energien« provoziert und bevormundet fühle. Um niemandem den Zugang zu verstellen, »haben wir im Wording versucht, bestimmte Buzzwords wegzulassen«. In „Wir können auch anders“ geht es also stattdessen um die Schönheit von Bäumen, das Zusammenleben in einem Dorf, um Gesundheit, bessere Luft oder billigere Energie. »Diese Begriffe sind nicht so belastet durch 40 Jahre ökologische Bewegung und zeigen deutlich, was wir gewinnen, wenn wir uns verändern«, sagt Jessen.
Kommunikation und Alltagsfähigkeit
Das ist also das eine: Kommunikation mit allen, nicht nur mit denen, die sich ohnehin angesprochen fühlen. Wenn es zu appellativ wird, wie in der recht sozialdemokratischen Serie Lindenstraße, die Jessen als Praktikant kennengelernt habe, wie er sagt, könne das schnell plump wirken. Ein bisschen peinlich. Oder ideologisch. Und plump, peinlich oder ideologisch verliert.
Das andere ist die Alltagsfähigkeit: Mit der Erderhitzung kann man keine Wohnung erwärmen. Deswegen bewirkt die Nutzung eines Begriffs wie »Erderhitzung« bei vielen gar nichts. Jedenfalls keine aktive Änderung des Mindsets. Hier sieht Jessen eine zweite Schwierigkeit beim Erzählen vom Klimawandel. Der Netflix-Film „Don’t Look Up“ mit Jennifer Lawrence und Leonardo DiCaprio, zum Beispiel: Im Zentrum stehen Wissenschaftler, die einen Kometen entdeckt haben, der die Erde zerstören wird. Was sie sagen, kommt in der Welt aber nur wie ein weiteres unterhaltsames Endzeitnarrativ an in einem medialen Erregungsbetrieb, der Promi-Gossip und einen Kometeneinschlag für zwei gleichwertige Themen hält. Guter Film, findet auch Jessen. Aber er fragt auch: »Hat er einen positiven Impact gehabt? Welche aktive Veränderung des Mindsets resultiert daraus? Letztlich war auch „Don’t Look Up“ ein Moralstück, oder?« Viel wirksamer finde er eine Ernährungsdoku wie The Game Changers, an der unter anderem Pamela Anderson, James Cameron und Arnold Schwarzenegger mitgearbeitet haben: »Guck mal, wenn der vegan isst und dadurch fitter ist – das will ich auch.«
Transformierbarkeit auch von konservativ geprägten Landstrichen
Am Ende also muss das, was über den Klimawandel erzählt wird, durch den Alltags-TÜV. Es muss daher Bestand haben vor sehr unterschiedlichen Realitäten. Eine Reportage über die autofreie Innenstadt in der belgischen 260.000-Einwohnerstadt Gent etwa mag Menschen in ähnlich großen Städten wie Kiel, Krefeld oder Chemnitz inspirieren. Aber was juckt dich das auf dem Land, wenn du einen Flurweg entlangspazierst und kein Auto hast, aber vom vielen Herumlatschen schon Rückenschmerzen? Was bringt dir da das Verkehrskonzept von Gent?
Das ist eine der Situationen, in die Anke Engelke und Bjarne Mädel in „Wir können auch anders“ versetzt werden. Eben noch war Engelke in Belgien, und dann – Schnitt – laufen sie und Mädel einen kleinen Weg in Schleswig-Holstein entlang. Die Landschaft ist flach wie eine Schallplatte, im Hintergrund drehen sich Windräder, und Mädel klagt über Rücken. Da kommt ein Mann in einem E-Auto entlanggefahren und sagt: »Kann ich helfen? Ich bin der Bürgermeister hier.« Und so werden Engelke und Mädel, die nicht wie Journalisten agieren, sondern wie Presenter, dann nach Sprakebüll inszeniert. Ein energieunabhängiges Dorf mit 260 Einwohnern.
Regisseur Jessen sagt, Sprakebüll in Nordfriesland sei in der Reihe sein Lieblingsort. Er stehe für die Transformierbarkeit auch von konservativ geprägten Landstrichen. In Sprakebüll nämlich wird viel mehr Strom aus Wind und Sonne erzeugt als die Einwohner brauchen. Davon profitiert die Gemeinde, die den Musikunterricht für die Kinder mitfinanziert, Radwege gebaut und ein eigenes Car-Sharing-Konzept hat. Die Anschaffung eines Elektroautos werde zudem monatlich gefördert, wie es heißt. Es ist ein Erneuerbaren-Vorzeigedorf. Und warum? Nicht in erster Linie wegen Natur, Grün, Umwelt, Klima, irgendwas. Sondern weil der Wind den Sprakebüllern keine Rechnung schickt. »Wir müssen ja auch ehrlich sein«, sagt der Bürgermeister. »Wir denken ja erstmal an uns selber. Und dann ist es ein positiver Nebeneffekt, wenn die Natur auch davon profitiert.«
■ WIR KÖNNEN AUCH ANDERS. Dokumentarserie. 6 Folgen (jeweils 30 Minuten). Ab 20. März 2023 in der ARD-Mediathek.
Dieser Beitrag ist im März 2023 in taz FUTURZWEI N°24 erschienen.