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Archiv-Artikel

Chirurgie

Zur gleichen Zeit bereiten sich Chefarzt Dr. Wowereit und sein Verwaltungsdirektor Sarrazin auf ihren Einsatz vor. Auf der Visite hat ihnen keiner widersprochen. Auf der Visite war keiner da, weder Dr. Strieder noch der Kitaleiter, noch das Pflegepersonal der Rathausklinik. Den Chefarzt hat es nicht gestört. Im Gegenteil. Nun würden sie schalten und walten können, wie es ihnen beliebt. Es war ihre Stunde, die nun schlagen sollte, die Stunde der Chirurgen.

Vorsichtig bewegt der Verwaltungsdirektor die Lampe, das Licht, es fällt auf das Gesicht des Bären. Mit keiner Wimper zuckt er, die Narkose hat ihre Wirkung getan, da kann er noch so sehr träumen von alten Zeiten, dem Schlaraffenland, in dem er aufgewachsen war, nun geht es ans Eingemachte, der Chefarzt lässt keinen Zeifel aufkommen, er ruft nach dem Skalpell.

Der Verwaltungsdirektor assistiert: Tupfer, Schnitt, das Gewebe ist freigelegt, der Einschnitt kann beginnen. Wir fangen mit dem Blinddarm an, sagt der Chefarzt, wer braucht heute einen Blinddarm. Gesagt, getan, der Wurm ist raus, den Faden, bitte.

So geht es weiter, den ganzen Morgen lang. Nicht einmal ein Eileinspruch der klinikeigenen Ethikkommission wurde zugelassen. Warum, bitteschön, sollen notwendige Operationen, bei denen es sich ja bei einer Notoperation handelt, dem Schwur auf den Stab des Äskulap widersprechen? Unsere Schnitte sind keine Einschitte, sondern heilende Eingriffe, sie befreien den Patienten von seinen Geschwüren.

So sprachen sie, und also folgte dem Blinddarm die Hälfte des Magens, nachhaltig ist das, grinste der Verwaltungsdirektor vor Vergnügen, so hat er keinen Hunger mehr, unser Patient. Nur vor der linken Hälfte des Schädels machten die Chirurgen Halt. Unter der linken Hälfte des Schädels sitzt das musikalische Zentrum, jener Bereich des Gehirns, in dem auch bei den Bären die Musik spielt.

Verschont bleibt auch der Bluthaushalt, obwohl der Verwaltungsdirektor schon einen Eimer voller Blutegel mitgebracht hat. Wenn ihr den Patienten zur Ader lasst, hatte die Schwester Oberin zuvor gedroht, dann gehen nicht nur beim Bären die Lichter aus, sondern auch in der Rathausklinik.

Die Drohung saß, ohne Licht, scherzte der Chefarzt in seiner unverwechselbaren Manier, könnten wir ja nicht weiteroperieren. Tupfer, Schere, und nun den Faden, bitte, wir sind ja keine Unmenschen.