: „Frieden ist das Wichtigste“
Silvester ist die Zeit der Grußbotschaften, des Rückblicks und des Ausblicks. Doch muss das allein das Geschäft der Politiker sein? Eine Umfrage, was sich Menschen in Berlin als Neujahrsgruß wünschen
Interviews ANNE HAEMINGund WALTRAUD SCHWAB
Es ist wieder Zeit für die Silvester- und Neujahrsansprachen. Gelegenheit für die Politiker, rückblickende und vorausschauende, sich wiederholende, mahnende und ermutigende Worte an die Bürger zu richten. In seiner Ansprache etwa hat der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit die Berliner zum „mutigen Zupacken“ aufgefordert: „Auf was es im neuen Jahr ankommen wird, ist vor allem Mut – Mut, die Probleme beim Namen zu nennen, gewohnte Pfade zu verlassen und die vielen Chancen zu ergreifen, die Berlin zu bieten hat.“ Was aber wünschen sich Menschen in Berlin für sich und andere? Die taz hat Menschen gebeten, aus dem Stegreif eine kleine Neujahrsansprache zu halten.
Sonja Bendrath, 72, Ökonomin im Ruhestand:
Berlin muss es schaffen, aus dem Minus rauszukommen. Ich finde es schrecklich, dass immer neue Pläne gemacht werden, immer wird alles umgestoßen. Die müssen doch mal Grundlagen schaffen und richtig sparen, um schuldenfrei zu werden – auch wenn’s wehtut. Man muss einfach ein bisschen abwägen, was man sich nicht leisten kann, wie jede Hausfrau auch. Allgemein sehe ich 2003 nicht so negativ. Ich habe Ökonomie studiert, das ist ja schließlich immer ein Auf und Ab in der Wirtschaft. Es wäre natürlich schön, wenn die Arbeitslosigkeit abgebaut wird, deswegen ist die Stimmung im Osten ja so mies. Aber überhaupt sollten die Leute nicht so pessimistisch sein. Ich wünsche mir vor allem, dass es keinen Krieg gibt. Das ist ja alles sehr bedrohlich.
Erdogan Aksoy, 23, Kioskbetreiber:
Mein Wort gilt dem Weltfrieden. Die Politiker haben dafür die Verantwortung. Wir sind nur Peanuts. Aber wir müssen zusammenhalten. Demonstrieren. Plakatieren. Man soll nicht auf den Krieg warten. Da ist schon dieser Nebelgeruch. Für mich an sich gilt, dass ich zufrieden bin, gesund bin. Ich mache Fitness. Aber man muss auch an die anderen denken. Meine Familie – wir kommen aus Anatolien – soll auch zufrieden sein. Dazu gehört Respekt und Anerkennung. Toleranz ist wichtig. Das Leben ist wie ein Traum. Die einen sagen, wir leben für das Paradies, aber ich lebe hier. Frieden ist für alle das Wichtigste.
Jana Limanski, 37, Dolmetscherin für Russisch:
Ich wünsche allen, dass sie zufriedener sind und alle persönlichen Wünsche in Erfüllung gehen, auch wenn ja heutzutage jeder Zukunftsängste hat. Im neuen Jahr sollte vor allem stärker in die Kinder investiert werden. Deutschland braucht mehr Kindertagesstätten, um berufstätige Mütter zu entlasten. Und die Eltern sollten mehr finanzielle Möglichkeiten haben, ihre Kinder zu fördern, vor allem die kreative Seite. Wenn man sich künstlerisch ausdrücken kann, trägt man auch dazu bei, die Welt schöner zu machen. Ich schreibe meine Rechnungen zum Beispiel immer in Grün oder Gelb, mit Tinte, die nach Apfel duftet. Das ist mein Beitrag, den Alltag schöner zu gestalten.
Paolo Vinti, 42, Genosse, Kommunist, Journalist und Revolutionär aus Perugia, Italien
Natürlich, der Frieden, la pace, ist zentral. Die bürgerliche Gesellschaft, die Bewegungen, die Parteien und die Gewerkschaften sind bei der Entwicklung hin zu mehr Menschlichkeit zentral. Das Jahrtausend beginnt mit dem Projekt von Frieden und Entwicklung. Die Konjugation mit dem Kosmos, mit Mond und Mars sieht die die Abschaffung der Armut, poverta, vor. Das und die Frage nach der vielfältigen kulturellen Dimension der menschlichen Existenz sind die Menschlichkeitsprogramme in diesem Jahrtausend. Wer das verstanden hat, findet darin eine Entwicklungsmöglichkeit hin zum Frieden. Pace. Frohes neues Jahr. Frohes neues Jahrtausend.
Martin Barz, 24, Fahrradkurier:
Ich kann nur Wünsche äußern, wenn es um die Berliner geht: mehr Lächeln. Fröhlich sein. Nicht so gereizt sein. Außerdem: öfters mal einen Kurier bestellen. Das ist das Wichtigste. Mehr Geld ausgeben sollen die Berliner. Egal für was. Nur für den Kurier am meisten. Sonst habe ich keine großen Wünsche. Nur Kleinigkeiten. Auf der politischen Ebene fällt mir überhaupt nichts ein. Da hab ich auch keine Idee, wie man aus der Misere rauskommt. Vielleicht das Rote Rathaus verkaufen. Die Situation ist ja unvorstellbar krass. Mir fällt da nichts zu ein. Berlin soll so bleiben, wie es ist.
Rumpam und Amar, ein Touristenpaar aus Amsterdam, mit ihrem Hund Antar:
Es soll keinen Krieg geben. Wir wünschen uns vor allem Frieden. Und ein großes Europa. Es ist wichtig, ein großes und starkes Europa zu haben. Dann ist jeder des anderen Freund. Dann kommunizieren die Menschen miteinander und auch mit den Leuten, die nach Europa kommen. Wir sind zum ersten Mal in unserem Leben in Berlin, und es ist unser erster Tag hier.
Ha-Jo Rothe, 53, Inhaber von Sporthaus Rothe, Landesvorsitzender der Selbstständigen in der SPD, waschechter Berliner in der dritten Generation:
Berliner, nur Mut, wir werden es schon packen. Nicht jammern, sondern handeln. „Was man nicht aufgibt, hat man nicht verloren.“ Alte Weisheit von Herrn Schiller. Sie hängt in meinem Büro an der Wand. Zum Beispiel, wenn Sie einen Arbeitsplatz suchen: Weitersuchen! Irgendwann klappt’s. Ich warte auch den ganzen Tag auf Kunden und irgendwann geht die Tür auf und einer kommt rein. Meine größte Sorge ist, dass Sachen passieren, die wir nicht beeinflussen können. Wie den Krieg der Amerikaner. Da geht es nur ums Geld. Das Leben ist so. Ich bin trotzdem Optimist. Ich mach seit 39 Jahren den Laden. Ich hab die Mauer erlebt und da dachten wir auch, das hört nie auf.
FOTOS: ANNE HAEMING