: Kenia hisst die weiße Siegesfahne
Im Rollstuhl lässt sich Kenias neuer Präsident Mwai Kibaki vor einer halben Million feiernder Bürger vereidigen – vorzeitig, um Intrigen der scheidenden Machthaber zu verhindern. Der 71-Jährige verspricht ein Ende von Personenkult und Korruption
aus Nairobi ILONA EVELEENS
„Ich habe keine Ahnung, wer hier für die Sicherheit zuständig ist“, sagt eine verwirrte Polizistin. „Die Armee schiebt die Menschen zu uns und wir schieben sie zurück.“ Jubel, Freudentränen und komplettes Chaos begleiten die Vereidigung von Mwai Kibaki zum neuen Präsidenten von Kenia. Eine halbe Million Menschen sind in den zentralen Uhuru-Park der Hauptstadt Nairobi gekommen, wo der 71-Jährige mit drei Stunden Verspätung den Amtseid ablegt.
Es ist der Polizei kaum möglich, die vielen Leute vom Ehrenpodium fern zu halten. So sind Präsidenten, Diplomaten und Presse auf und neben der Bühne gefangen, eingekreist von ausgelassenen Kenianern. Straßenkinder machen gute Geschaefte mit dem Klauen von Handys und Kameras. Aber keiner wird böse. Dies ist ein Tag der Heiterkeit.
„Die Vereidigung hätte eigentlich ein paar Tage später stattfinden sollen“, meint Robert Kariuki, ein Aktivist von Narc (National Rainbow Coalition), der Allianz von 15 Oppositionsparteien, die unter Führung von Mwai Kibaki die Wahlen gewonnen hat. „Aber wir wollten keinen Tag länger warten – aus Angst, dass der ehemalige Präsident Moi doch noch krumme Dinge dreht. Wir wollten die Macht so schnell wie möglich übernehmen.“ Auf seinen Stuhl auf dem Podium hat sich schon längst ein Kameramann gesetzt.
Das persönliche Wappen von Moi mit dem grünen Hintergrund wird eingezogen, die weiße Fahne von Kibaki gehisst. Der Jubel der Anwesenden wird ohrenbetäubend. Im Rollstuhl legt Mwai Kibaki seinen Eid ab: Während des Wahlkampfes hatte er einen Autounfall, brach sich ein Fußgelenk, und er hat ein steifes Genick. Aber seine Stimme ist stark wie immer.
Gleich nach der Vereidigung fährt der neue Staatschef zum State House, nur wenige Kilometer vom Uhuru-Park entfernt. Da wartet Arbeit. Das Wichtigste ist, die tief verwurzelte Korruption zu bekämpfen und die Wirtschaft wieder auf die Beine zu kriegen. Schon vor seinem Autounfall hatte er versprochen, dass das kaputte kenianische Straßennetz verbessert wird.
„Ich werde allen meinen Versprechen nachkommen“, hatte Kibaki am Abend vor der Vereidigung im Garten seines Hauses in einem Luxusviertel Nairobis gesagt. „Ich will für die ganz normalen Kenianer zugänglich sein, die Ideen haben. Wir haben viele hoch gebildete Menschen und ein Land mit zahllosen Möglichkeiten. Damit muss es uns gelingen, Kenia wieder gesund zu machen.“ Bei der privaten Begegnung mit der Presse kontrastierten das bunte Hemd und die Hausschuhe des neuen Präsidenten stark mit dem Erscheinungsbild der prominenten Narc-Politiker um ihn herum, die alle im Anzug waren.
„Mein Gesicht soll nicht auf Geldnoten erscheinen oder in öffentlichen Gebäuden und Läden hängen“, versprach Kibaki. „Ich verwahre mich dagegen, dass Straßen oder Schulen nach mir genannt werden. Nach meinem Tod kann man, wenn man will, ein Kibaki-Denkmal errichten.“ Damit machte er sich lustig über seinen Vorgänger Daniel arap Moi, dessen Gesicht im täglichen Leben allgegenwärtig war.
Der freundliche Kibaki ist eine Art von Vaterfigur. Ganz das Gegenteil des distanzierten Moi. 1992 und 1997 kandidierte Kibaki auch schon für das Präsidentenamt, aber verlor beide Male. Beim dritten Anlauf hat es geklappt. Der Ökonom ist ein sehr erfahrener Politiker mit Mannschaftsgeist. Er arbeitete mit am ersten Grundgesetz von Kenia kurz vor der Unabhängigkeit 1963. Er gewann einen Sitz im Parlament und hat ihn seither nie verloren. Kenias erster Präsident Jomo Kenyatta machte ihn zum Finanzminister; Daniel arap Moi ließ ihn auf dem Posten, als er selbst 1978 Staatsoberhaupt wurde. Später wurde Kibaki Vizepräsident. Aber 1986 fiel er in Ungnade und verlor seine Position. 1991, bei der Einführung des Mehrparteiensystems, war er einer der ersten bekannten Politiker des Landes, der zur Opposition überlief.
Die einzigen Kenianer, die den gestrigen Tag in Trauerstimmung vebrachten, waren wohl Kibakis Kumpel auf dem Golfplatz. Dort hat er in der Vergangenheit viel Zeit verbracht und ein bewundernswertes Handicap aufgebaut.