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Archiv-Artikel

Liebe und Sehnsucht

von JAN FEDDERSEN

Die ersten Entscheidungen unserer Leser fanden sich auf der Grand-Prix-Website – und sie fielen sehr eindeutig aus. Auf die Frage, ob Deutschland abermals Nicole („Ein bisschen Frieden“) ins Rennen schicken sollte, antworteten 62 Prozent mit Nein. Der ästhetische Umkehrschluss aber fiel ebenso negativ aus. 58 Prozent meinten, Herbert Grönemeyer solle Deutschland am 24. Mai in Riga nicht vertreten. Verblüffend aber: Die Frage, ob Senait den Vorentscheid in Kiel gewinnen solle, war unstrittig. 79 Prozent gaben ihr Ja zu Protokoll.

Ein überraschendes Votum: Die taz-Leserschaft will, dass man es den Großen (Bild, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, im Grunde auch Ralph Siegel) zeigt. Noch überwältigender: 803 LeserInnen, 60 Prozent von ihnen mit Abonnement, schickten für Senaits Song Texte. 95 Prozent freundeten sich mit Melodie 1 ein, dem eher schlageresken Stück; der Rest wagte sich an die zeitgeistigere Melodie 2. Fast drei Viertel der Einsendungen kamen von Männern.

Erstaunlich: Die Briefe und Mails kamen nicht allein aus Deutschland, sondern auch von den Philippinen, aus Israel, Schweden, der Schweiz und Österreich – und aus Malta, Dänemark und Polen. Ein Text wurde in Französisch eingereicht, 161 in englischer Sprache – und der Rest auf Deutsch.

Frappierend, so schrieben uns viele Leser, wie schwer es falle, Empfindungen, also Privates in einen singbaren Text zu gießen. Mehr noch: Häufig fanden sich bei den taz-Autoren Worte und Sprichworte, die teilweise klassische Klischees bedienten. Liebe war das Hauptthema, vor allem die unerfüllte, die erhoffte und die misslungene. Heitere Texte fanden sich nur bei 8 Prozent der Einsendungen. Ironisierungen oder Comedy-artige Entwürfe wurden keine eingereicht – möglicherweise aus Respekt vor Senaits Lebensgeschichte.

Worte wie Luder oder Schlampe wurden in zwei Texten eingewoben – und desinteressiert zur Seite gelegt. Dafür leben fast zwei Drittel der Texte von Begriffen wie Einsamkeit, Traum, Sehnsucht, Stille, heller Morgen, dunkle Nacht (bzw. Schatten).

Nebenstehend finden Sie die Auswahl für den taz-Polydor-Slam am Freitag in Berlin. Wer glaubt, dass das doch alles nicht wie Grönemeyer oder Freundeskreis oder Deter oder Mey oder sonstwie anspruchsvoll klingt, soll die Texte der jüngsten Grönemeyer-Produktion lesen: Das belehrt ungemein!