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Archiv-Artikel

Eine schöne Bescherung

Innerhalb kürzester Zeit wurden in Berlin 21 Kneipen überfallen. Zwar steigt die Zahl solcher Delikte jedes Jahr vor Weihnachten. Doch diesmal greifen die Täter ohne Grund zur Gewalt. Die Polizei vermutet eine neue Form von „Spaß und Fun“

von UWE RADA

Glaubt man der Gewerkschaft der Polizei, gleicht das vorweihnachtliche Berlin derzeit einer Räuberhöhle. „19 Stunden in der Hauptstadt“, überschrieb die Gewerkschaft gestern eine Presseerklärung und listete gleich acht Raubüberfälle auf, darunter zwei Überfälle auf Eckkneipen. Fazit des GdP-Vorsitzenden Eberhard Schönberg. „Der Schusswaffengebrauch und Raubdelikte werden in Berlin zur Normalität.“

Auch wenn man in der Polizei selbst solcherlei Alarmmeldungen nicht gerne hört, geraten die Ermittler vor allem wegen einer Serie von Kneipenüberfällen immer mehr unter Druck. Dazu gehören auch die beiden Überfälle in der Liste der Gewerkschaft der Polizei. So überfielen in der Nacht zum Freitag drei maskierte Männer eine Kneipe in der Tempelhofer Werderstraße und bedrohten eine 29-jährige Serviererin und zwei Gäste mit Schusswaffen. Die Täter raubten Geld aus der Kasse sowie die Portemonnaies der beiden Gäste. Eine 47-Jährige wurde dabei mit Reizgas besprüht und musste ambulant in einem Krankenhaus behandelt werden.

Zwei Stunden zuvor hatten drei mit Skimasken getarnte Männer eine Kneipe im Eichhorster Weg in Reinickendorf betreten und einen 42-jährigen Angestellten sowie vier anwesende Gäste mit Schusswaffen bedroht. Der Kneipier wurde gezwungen, die Kasse zu öffnen, aus der einer der Täter Geld entnahm. Zwei Gäste mussten ihre Portemonnaies herausgeben, dem Angestellten wurden Geldbörse und Handy geraubt. Mit diesen beiden Fällen stieg allein in den vergangenen zehn Wochen die Zahl der Kneipenüberfälle auf 21 an. Die Polizei vermutet eine drei- bis vierköpfige Bande hinter den Taten.

Nun sind Kneipenüberfälle zu dieser Jahreszeit nichts Ungewöhnliches, weiß Manfred Schmandra, Kriminaloberrat beim Berliner LKA. „Generell nehmen ab Oktober, wenn es früher dunkel wird, die Eigentumsdelikte zu.“ Und dann ist da noch das Weihnachtsgeschäft, das den ein oder andern dazu verleitet, das Geld für die nötigen Geschenke auf andere als legale Weise aufzutreiben.

Im Gegensatz zur Berichterstattung der Berliner Boulevardpresse, die die Stadt seit Tagen mit Schlagzeilen wie „Die Angst am Stammtisch“ auf Trab hält, vertraut Schmandra allerdings auf die Fakten. „Auch wenn es diesen Anstieg jetzt gibt, liegen wir in diesem Jahr noch immer unter 100 Überfälle auf Gaststätten.“ 1997 dagegen lag die Zahl noch bei 176. „Seitdem“, so Schmandra, „gibt es einen kontinuierlichen Rückgang.“

Was die Tatserie von anderen Delikten dieser Art unterscheidet, ist ihre Brutalität. „Da werden Gäste ohne Grund geschlagen“, sagt Schmandra. „Das ist eine Gewaltanwendung, die zur Ausübung einer solchen Tat überhaupt nicht nötig wäre.“ Der 48-Jährige, der die Überfälle von den örtlichen Direktionen an sich gezogen hat und nun mit seinen elf Mitarbeitern bearbeitet, vermutet dahinter eine neue Qualität. „Die Täter leben bei den Überfällen ihre Herrscherposition aus, das ist eine neue Form von Spaß und Fun.“

Ob sich hinter den Überfällen auch eine neuer Trend in Richtung Gruppendelikte verbirgt, kann die Polizei nur schwer einschätzen. „Das sind lockere Zusammenschlüsse von Gelegenheitstätern. Und hat man erst mal Erfolg, wird die Schlagzahl erhöht.“ Gleiches gilt auch für die Einzeltäter, bei denen es eine nach wie vor hohe Anzahl von Intensivtätern gebe. Kriminaloberrat Schmandras Fazit: „Es gibt keine Anzeichen dafür, dass die wachsenden sozialen Probleme sich in der Kriminalitätsstatistik niederschlagen.“

Tatsache ist allerdings, dass die Zahl der Banküberfälle mit der Einführung des Euro in diesem Jahr wieder deutlich angestiegen hat. Doch auch das sei kein Hinweis auf eine angebliche „Normalität“, meint der LKA-Fahnder. „Das kann auch mit der sinkenden Beuteerwartung bei Banküberfällen zu tun haben. Wegen der besseren Sicherheitstechnik muss man heute mehrere Banken überfallen, um auf die gleiche Beute zu kommen.“

Von „Sicherheitstechnik“ sind die Berliner Eckneipen allerdings noch weit entfernt. Im Gegenteil. Vergilbte Gardinen an den Fenstern und eine geringe Zahl von Beschäftigten und Gästen scheinen zu Überfällen geradezu einzuladen. Hinzu kommt, dass die LKA-Mitarbeiter von Manfred Schmandra meistens mit unzureichenden Zeugenaussagen zu kämpfen haben. „Um Mitternacht sitzen da halt oft Leute, die keinen besonders klaren Blick mehr haben.“

Manchmal allerdings scheint der Schultheisskonsum zu jener Gelassenheit zu führen, mit der auch unvorhergesehene Ereignisse souverän bewältigt werden. Der Überfall dreier mit Sturmhauben maskierten Männer auf eine Gaststätte in Lankwitz, meldete am 15. November die Polizei, sei an der stoischen Ruhe der alkoholisierten Gäste gescheitert. „Die von einem der Täter mit einer Schusswaffe bedrohten Überfallenen nahmen die Lage offensichtlich nicht allzu ernst und dachten nicht daran, die geforderten Brieftaschen auszuhändigen. Das Räubertrio flüchtete schließlich mit einer einzigen Handtasche aus der Gaststätte in der Kaiser-Wilhelm-Straße.“