zwischen den rillen
: Gralshüter des Rap: The Roots, Common, Talib Kweli

Kinder der Revolution

Neben den Gangstern, Pimps und Hustlern des Charts-HipHops wirken sie wie Altachtundsechziger: The Roots, Common und Talib Kweli. Altmodisch ihre Wortwahl – „Revolution“, „Freedom“, „Aquarius“ –; schwärmerisch ihre Lobeshymnen auf Urväter des politisch bewussten Souls wie Marvin Gaye oder Al Green. Um das geistige Erbe weiterzuführen, organisieren sie sich in Kollektiven: Okayplayer, Soulaquarians oder Spitkicker heißen diese Ideologievereine, quasi Rotary-Clubs des Rap. Und während die immer gleichen Clips der Ja Rules und Nellys dieser Welt, unterlegt mit den immer gleichen Neptunes-Beats, auf den Musiksendern rotieren, leisten die Gralshüter Dienst an der Zukunft des Rap.

Zum Beispiel The Roots: Die Crew aus Philadelphia verstand es als erste Band überhaupt, HipHop mit Live-Instrumenten umzusetzen. Frühere Versuche scheiterten oft an der Disziplin der Musiker: Der Drummer spielte weiterhin seine Fill-Ins, der Pianist solierte über die Rapstrophe. The Roots aber groovten mit minimalsten Mitteln, entzückten mit komplexen Übergängen und gnadenlosen Steigerungen. Doch so mitreißend sie auf der Bühne waren, so clean und monoton klangen ihre vier bisherigen Studioalben zuweilen.

Auf „Phrenology“ haben sie es endlich geschafft: Der frühere Minimalismus ist der Opulenz gewichen, die Affinität zu Jazz der Lust an geiferndem Rock. Streicher verdichten den Sound, Gitarren und analoge Synthesizer sorgen für Abwechslung. The Roots sind gefragte Musiker, jeder der sechs beschäftigt sich mit eigenen Projekten, oft außerhalb des HipHops: zum Beispiel Drummer und Produzent Questlove, der zuletzt Christina Aguilera mit einem Beat beehrt hat. All die Nebenjobs sind vielleicht Grund, weshalb „Phrenology“ so respektlos mit Rap umherspringt. „The Seed (2.0)“ könnte ein Rolling-Stones-Song sein, wenn Jagger zu rappen wüsste; „Rock You“ ist gar von The Queen inspiriert.

The Roots verschaffen dem Rap, was ihm immer gefehlt hat: Dramaturgie. Zum Beispiel „Water“, ein Opus in drei Teilen, das minutenlang dahinfließt, bis der Strom versiegt, die Musik nur noch tröpfelt, um loszuschießen in einer Flutwelle der Harmonien. Zurück bleibt Verwirrung. Ist das noch Rap? Vielleicht nicht. Vielleicht wird es einmal Rap sein.

Rapper Common hieß früher Common Sense. „Sense“ wurde ihm per Gerichtsentscheid genommen. Böse Zungen behaupten, Common habe in letzter Zeit auch den fashion sense, den gesunden Modegeschmack, verloren. Und wirklich: Das Video zur neuen Single „Come Close“ wirft die Frage auf, ob sich Common beim Kauf seiner Kopfbedeckung nicht in die falsche Abteilung seines Secondhand-Ladens verirrt hat. Doch während die Kleidung immer exzentrischer wird, zeigt sich Common in Sachen Musik von Album zu Album geschmackssicherer. „Electric Circus“ ist Haute Couture mit Secondhand-Stoffen, progressiver HipHop mit Anleihen aus dem psychedelischem Rock. Rap, der vor Soul trieft, vor Wut kreischt, sich dem Liebesrausch ergibt.

Common begnügt sich nicht mit gelungen Doppelreimen, er erzählt Prosa in Versen: Von Jimi, dem Rockstar, von Unterdrückten, die sich befreien, und vom Pimp im Mann. Anders als bisher ist „Electric Circus“ beinahe durchwegs von Hand eingespielt. Dass Common damit in ähnliche Richtung wie The Roots steuert, ist kein Zufall: Executive Producer ist deren Vordenker Questlove. Weitere Unterstützung erhält Common von über zwanzig Gästen, darunter kein geringer als Prince.

Auch Talib Kweli wird zu den besten MCs gezählt, trotz oder wegen seiner plärrenden Stimme. Nun hat er sein erstes wirkliches Soloalbum „Quality“ veröffentlicht: allerdings eine negative Überraschung. Kweli textet den Hörer mit Lyrik zu, doch bilden die Beats nur Strophenhalter, keine Songs. Während die Geistesverwandten Roots und Common Neuland erforschen, konsolidiert „Quality“ den handwerklich einwandfreien Rap, wird aber im Plattengestell bald vergessen werden. Die treibende Kraft des Vorgängeralbums „Reflection Eternal“, der Produzent Hi-Tek, wurde von gängigen Produzenten wie Megahertz, Kanye West oder Ayatollah abgelöst.

Das alles ist symptomatisch für eine Entwicklung, die nun auch die Gralshüter des Independent-HipHop erfasst hat: Die Beats sind wichtiger als der Rap geworden, die Produzenten wichtiger als der Rapper. Heute macht ein geachteter MC alleine keine beachtete Platte mehr, wie Talib Kwelis „Quality“ zeigt. Dagegen sind Starproduzenten wie The Neptunes, Timbaland oder eben Questlove Garanten für den Erfolg: „Phrenology“ und „Electric Circus“ hätten die Musik dazu. SIMON JÄGGI

The Roots: „Phrenology“, Common: „Electric Circus“ (beide MCA/Universal), Talib Kweli: „Quality“ (Rawkus/Universal)