piwik no script img

Archiv-Artikel

Radikal verantwortlich

Unternehmerische Gesellschaftsverantwortung ernst genommen: Wie der Ruf der CSR-Abteilungen für Party-Small-Talks und praktische Veränderungen gerettet werden kann

Paul von Ribbeck

■ Mitglied des „Peng Kollektiv“ und Kommunikationsguerillero: Er verkündet „autonome Konzernstrategien“ im Namen von Unternehmen, wodurch sie zu einer Positionierung gezwungen werden. Zuletzt erklärte er als Vattenfall-Pressesprecher, der Konzern steige aus der Braunkohle aus und rekompensiere Schäden. www.pen.gg

VON PAUL VON RIBBECK

Corporate Social Responsibility (CSR), Greenwashing, Social Innovation, Sozialunternehmertum: Schlagwörter, die bei NGOs für Wut und Verzweiflung sorgen, bei Partygesprächen zu Augenrollen und diplomatischem Themenwechsel führen.

Das unternehmerische Bollwerk gegen Veränderung, die Symptombekämpfungsmaschine zur Ausblendung der Ursachen ist etabliert.

Obwohl jede CSR-Abteilung scheinbar nur im Interesse des übergeordneten Unternehmens wirkt, gleicht die Armada internationaler CSR-Abteilungen einer Symptombekämpfungsmaschine. Die Ausblendung der Ursachen der behandelten Symptome ist systemimmanent. Aus ihren Marshmellow-gefüllten Handtaschen zaubern sie zuckersüße Geschichten, die unserem Gewissen das Maul stopfen sollen, und ziehen in den Kampf gegen soziale Gerechtigkeit – ganz ähnlich, wie der WWF daran arbeitet, die Umweltbewegungen zu diskreditieren.

Doch nehmen wir die Verantwortungs-Rethorik ernst! Was wäre denn echte Unternehmensverantwortung? Was wäre, wenn Chefmeinungen und Karrieren einzelner Kolleg_innen in einem Unternehmen nicht mehr als Ausgangspunkt gesellschaftlichen Engagements gelten würden, sondern soziale und ökologische Gerechtigkeit? Von der Leyen würde verkünden: Die CSR-Abteilungen müssen bis 2016 die mächtigen Abteilungen in jedem Unternehmen werden. Soziales und verantwortliches Verhalten werden zur Existenzberechtigung jeder Organisation erklärt und rechtlich verankert. Warum eigentlich nicht?

So wie Joseph Schumpeter, der Vorzeigeideologe für Unternehmertum, Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts Unternehmer_innen als Innovator_innen abfeierte, erleben heute die „Sozialunternehmer_innen“ als risikofreudige Individuen eine Renaissance. Im Gegensatz zu Kapitalist_innen seien Unternehmer_innen gemäß Schumpeter auf die ständige Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Position bedacht, was sie durch stete Innovation im Form neuartiger Kombinationen von Produktionsfaktoren zu erreichen suchen.

Schaut man genau hin, bilden Sozialunternehmer_innen die Quintessenz der bisher erfolgreichsten sozialen Bewegungen weltweit: der Bewegung der Bourgeoisie aus dem neunzehnten Jahrhundert, der Bewegung der Sozialdemokratie vom Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts und drittens des Neoliberalismus der siebziger Jahre. Diese Ideologien (und Abwandlungen der drei Hauptströmungen) haben sich in allen Parlamenten der Welt fest verankert, untermauern bis heute in all ihren Facetten ein gängiges Wertesystem westlicher Kulturen. Doch was dabei in Form der „Sozialentrepreneurs“ herauskommt, ist eine Hydra des postmodernen Kapitalismus: Der Sozialstaat wird abgebaut und als Innovation an risikofreudige Unternehmer_innen übergeben, die sich um Fördergelder und Crowdfunding-Kampagnen streiten.

Gut, dann wagen wir den Blick zurück in die stinknormalen CSR-Abteilungen der Unternehmen. Das sind Abteilungen, die bisher vor allem dafür bekannt sind, sozial-ökologisch unverantwortliche Unternehmen dazu zu beraten, Grundschüler_innen Literatur zu spendieren oder Bäume auf die Dächer der Konzernzentrale zu pflanzen. Die Deutsche Bahn verspricht immerhin, dass sie bis 2050 100 Prozent erneuerbare Energiequellen nutzt. Man könnte das fast mutig nennen.

Aber: Mut allein reicht nicht. Es braucht Gewicht. Etwa, wenn die CSR-Abteilung von Shell durchsetzt, dass das umsatzstärkste Unternehmen der Welt fossile Brennstoffe im Boden lässt und die Schäden seiner Ölförderung nachhaltig aufräumt. Dass Vattenfall den Braunkohleabbau in der Lausitz aufgibt, dafür aber künftig Milliarden in Strukturmaßnahmen, nachhaltige Energieproduktion und neue Arbeitsplätze in der Region investieren wolle. Dass die Deutsche Bank das Kapital für bedingungsloses Grundeinkommen freistellt und die Telekom alle Netze, die abgehört wurden, an zivilgesellschaftlich kontrollierte Genossenschaften gibt. Was hieße das denn für die Deutsche Bahn? Am kommenden Mittwoch im Radialsystem werde ich als Mitglied des Peng Kollektivs auf einer internen Bahn-Konferenz diskutieren, was außer einer Zerschlagung des Konzerns als soziale Innovation im Sinne des Zugklassenkampfs gelten könnte. Das wird das erste Mal sein, dass ich auf Einladung eines Konzerns hin bei ihnen sprechen werde – also angekündigt und mit echter Identität. Und klar, ich laufe Gefahr, als gewissensstreichelnder Kreativ-Aktivist abgestempelt zu werden. Aber wer weiß, vielleicht wird das Zugfahren in Deutschland bald zu einem Erlebnis des Kampfes für soziale Gerechtigkeit.