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Archiv-Artikel

Meditativ bis psychotisch

Sex and drugs and Rock ’n’ Roll, so lautete es, das große Versprechen der sechziger Jahre. Heute lässt sich feststellen: Guten Sex hatten doch nicht so wahnsinnig viele, aber die Sache mit den Drogen hat prima funktioniert. Entstanden ist daraus ja auch die allseits beliebte psychedelische Musik. Wobei nie so recht klar war: Ist das Musik, die unter dem Einfluss von Drogen entsteht? Oder die man am besten hört, während man breit ist? Oder Musik, die so klingt, wie sich eine Drogenerfahrung anfühlt? Man merkt: Es ist kompliziert. Kein Wunder, dass ungefähr ein halbes Jahrhundert später das Psychedelische in der Musik recht weit gefächert auftritt, nämlich ungefähr in dem Spektrum zwischen Zachov und Krälfe.

Krälfe ist ein Duo, bei dem das Psychedelische aus dem standhaften Abarbeiten an Rhythmus und Riff entsteht. Schlagzeugerin Cläre Caspar und Gitarrist Ralf Küster haben im Funkhaus Nalepastraße zehn spartanisch instrumentierte, aber extrem abwechslungsreiche Instrumental-Tracks für ihr Debütalbum eingespielt, die man laut hören sollte. Und in aller Ruhe. Dann entsteht nämlich ein meditativer Zustand. Küster lässt seine Gitarre knarzen, Caspar schlägt ihre Drums stoisch wie ein Metronom, und der Zuhörer kann sich den abendlichen Joint sparen.

Hinter Zachov versteckt sich der österreichische Wahlberliner Jacob Suske. Der spielte früher bei Lunik und heute noch beim One Shot Orchestra, und arbeitet regelmäßig als Theatermusiker. Am bekanntesten aber war er als Bassist bei Bonaparte. Allerdings: Von deren überkandidelten Party-Rock ’n’ Roll, der ja tatsächlich noch mal das alte Sex-and-Drugs-Versprechen erneuerte, ist sein erstes Album „Über ich“ weit entfernt. Eher klingt es wie eine ziemlich unterhaltsame Sitzung auf dem Sofa von Siegmund Freud. Über kruden Geräuschen und versponnener Electronica, schmissigen Disco-Rhythmen und morbider Chansonstimmung nimmt uns Suske mit auf eine Reise durch seine Alpträume und Abgründe. „Gestern hab ich mir selbst den Kopf verdreht“, singt er und das kann als Motto der ganzen Unternehmung durchgehen. Dann findet sich der Sänger auch noch an einen Baum gebunden im Wald wieder, während die Tiere über ihn zu Gericht sitzen. Der radikale Wille zum Seelenstriptease ergibt vielleicht keinen Psychedelia im strengeren Sinne, aber doch immerhin erstklassig psychotische Popmusik.

THOMAS WINKLER

■ Krälfe: „Krälfe“ (Tumbleweed/ Broken Silence), live am 25. 6. in der Wabe

■ Zachov: „Über Ich“ (Blankrecords/ Broken Silence), Record Release Party am 25. 6. im Acud