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Archiv-Artikel

Es geht um Pfründe und Macht

EIN PLAKAT SPALTET DIE SZENE

Im Kern geht es aber darum, dass zu wenig oder falsch kommuniziert wird

Das Lesbisch-Schwule Stadtfest rund um den Nollendorfkiez ist in den letzten 23 Jahren stetig gewachsen und wurde immer beliebter. Nicht nur bei den eigentlichen Zielgruppen, den Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender und Intersexuellen, sondern auch bei vielen aufgeschlossenen Heterosexuellen, die mit Kind und Kegel kommen. Das Stadtfest, das größte seiner Art in Europa, ist sozusagen ein Megaevent für alle. Und so wälzen sich Jahr für Jahr immer mehr Menschenmassen an Info- und Verkaufs-, an Sauf- und Fressständen vorbei, während die politische Botschaft des Festes immer mehr ins Hintertreffen geriet.

Deshalb bekommen die Organisatoren, der Regenbogenfonds der Schwulen Wirte e. V., seit etlichen Jahren immer mal wieder Stress mit einzelnen Vereinen oder Interessengruppen. In diesem Jahr entbrannte ein Streit über das Plakat- und Anzeigenmotiv des Stadtfestes, das ein sich küssendes Frauenpaar zeigt. Die eine davon trägt ein lichtdurchlässiges Kopftuch, unter dem ein Regenbogen – ein LGBTI-Symbol – durchschimmert, die Frau ist als Muslimin zu erkennen. Verschiedene Gruppen wie die Lesbenberatung und GLADT, ein Verein türkischer LGBTI, finden das Plakat nicht gut, sondern rassistisch. Die Stadtfestorganisatoren indes verstehen die Aufregung nicht.

Im Kern geht es aber darum, dass zu wenig oder falsch kommuniziert wird. Auf der einen Seite stehen die Macher des Stadtfestes, mehrheitlich schwule, deutsche (also weiße) Männer. Auf der anderen Seite VertreterInnen von MigrantInnen, People of Colour, Muslimen, Transgender und Lesben. Diese Gruppen fühlen sich seit Jahren unterrepräsentiert beim Stadtfest und im Grunde genommen auch von der Öffentlichkeit kaum gesehen. Denn: Die LGBTI-Szene ist unendlich vielfältig und in x Subszenen gegliedert, viel zu oft aber werden allein schwule Klischees oder Rollenbilder bemüht, etwa wenn sich Medien eines entsprechenden Themas wie der Homo-Ehe annehmen.

Der jetzige Disput aber resultiert aus dem Umstand, dass vielen Schwulen schlichtweg egal ist, was die anderen Teilgruppen der Szene – oft fälschlicherweise als „Community“ bezeichnet – wollen, denken oder fühlen. Nicht nur in Sachen Stadtfest. Sondern überhaupt. Das wurde nicht zuletzt im letzten Jahr bei dem (am Ende nicht mehr durchschaubaren) Riesenkrach um den CSD sichtbar. Denn es geht wie im wahren Leben auch, also bei den Heteros, um Pfründen, Macht und Deutungshoheit. Und daran zu kratzen ist immer gut.

ANDREAS HERGETH