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Archiv-Artikel

WAS TUN, WENN DER NACHBAR SCHWEINE ZÜCHTET UND AUCH NOCH DAZU STEHT? Mein jüdischer Großvater

Foto: privat

REBECCA CLARE SANGER

Genau in dem Moment, als ich mich bücke, um an der Ecke unserer Einfahrt einen Hundehaufen aufzuheben, welcher dem Aussehen nach zu urteilen aus meinem eigenen Hund gekommen ist, bemerke ich mein Janusgesicht.

Habe ich doch noch vorige Woche meinen Hund geradezu dazu ermuntert, genau dasselbe vor Sven Oles Einfahrt zu tun – weit weg genug, um es nicht nach bösem Willen aussehen zu lassen, und dennoch nah genug, damit ich es als Rache für den Schweinegestank – und – im Übrigen – das miserable Leben der Schweine deuten kann.

Heute jedoch muss unsere Einfahrt danach aussehen, als ob ich auf unser, von Sven Ole gepachtetes Grundstück, sehr viel Acht geben kann, ein Hundehaufen hat da nichts zu suchen. Auch meine Beine habe ich zum ersten Mal seit Monaten rasiert. So gefalle ich Sven Ole und wirke wie eine anständige Frau, finde ich, die Kinder, Mann, Garten und eben auch Milchziegen auf seinem Grund im Griff haben kann. Ich backe Kuchen und koche Kaffee und dennoch kommt Sven Ole erst am Nachmittag, ganz unangekündigt, er hatte Meetings, besonders viele, weil er nämlich gerade seine Schweine verkauft hat.

Als Sven Ole zur Gartenpforte hereinkommt, ist nur mein Hund meiner eigentlichen Linie treu. Er versucht Sven Ole mehrmals in die nackten Waden zu beißen, aber das nimmt der nicht so genau. Tiere ernst zu nehmen, das verbietet ihm schon sein Beruf.

Sven Ole ist so umgänglich! 45 Jahre Intensivschweinehaltung müssen ihn für seinen Umgang mit Menschen extrem gut geschult haben.

Er ist bestimmt, zugänglich und freundlich. Wir reden über Schweinefleisch.

Er habe nur 2.000 Schweine im Jahr produziert, das hätten 20.000 sein müssen, sagt er, um überhaupt über die Runden zu kommen.

Das ist Tierquälerei, sage ich – trotz des Janusgesichts.

Er fände eine Familie mit drei Kindern in einer Etagenwohnung in Kopenhagen sei schlimmer, sagt er, die hätten ja da gar nichts zu tun.

Und was haben die 20.000 Schweine zu tun, sage ich.

Man dürfe die Tiere nicht vermenschlichen, sagt er. Die Leute bezahlen ja nichts mehr dafür, da hat er dann auch keine Lust mehr.

Darüber, dass Fleisch Qualität haben muss, und seinen Preis, darüber sind wir uns einig, sage ich. Und dann sage ich: „Ich esse ja kein Schweinefleisch.“

Und dann fragt er: „Warum nicht?“

Und dann sage ich: „Wegen meines jüdischen Großvaters.“

Wegen meines jüdischen Großvaters! Als ob er daran auch noch schuld sei, und nicht die Visionen von Schweinen, die mich nachts im Bett und tagsüber bei Anblick der Schweinetransporter verfolgen.

Wegen meines jüdischen Großvaters. Der übrigens mit Vorliebe nachts Salamibrote aß.

Nun ja. Sven Ole ist ein freundlicher Mann, das kann er verstehen, da sagt er auch nichts mehr.

Ich auch nicht.

Ich kann mich nur über mich wundern.

Und in Zukunft auf Sven Oles Land meine Ziegen grasen lassen, deren Milch ich auch nie mit dem Fleisch der Zicklein zusammen zu essen gedenke.

Rebecca Clare Sanger pendelt mit Mann und Kindern zwischen Hamburg und der dänischen Insel Møn; was sie dabei erlebt, steht alle zwei Wochen an dieser Stelle. Einen Band mit ihren „Hamburger Szenen“ aus der taz.hamburg hat der Verlag Michason & May unter dem Titel „Hamburg Walking“ veröffentlicht.