: Die Realität ist grotesk genug
ANEKDOTEN Seit einem Plagiatsfall ist Michael Schulte verfemt. „Kühe im Mondschein“, eine Sammlung seiner schönsten Erzählungen, gäbe nun Stoff für die fällige Begnadigung
VON FRANK SCHÄFER
Manch einer kennt Michael Schulte vor allem als Karl-Valentin-Biograf oder als Autor einer sehr lesenswerten Monografie über Ambrose Bierce, die man bald, jedenfalls zu einigen Teilen, als Plagiat von Roy Morris’ Standardwerk „Alone in Bad Company“ entlarvte. Damals, Ende der Neunziger, bricht der Literaturbetrieb den Stab über ihn. So richtig mitgemacht hat Schulte ohnehin nie, auch weil er selten da ist, sich immer wieder ins Ausland absetzt, nach Mallorca, in die Toskana und mit Unterbrechungen für ganze zehn Jahre in die USA.
Für die hochmögenden deutschen Verlagshäuser, bei denen Schulte zuvor publiziert hat, Rowohlt, Piper, Hoffmann & Campe, Schöffling, wird er damals zur Persona non grata. Der österreichische Verlag Picus verlegt noch ein paar Romane und seine großartige Autobiografie „Ich freue mich schon auf die Hölle“. Seit 2010 malt er nur noch und schreibt gelegentlich ein Radio-Feature für den MDR. Er habe „Scheiße gebaut“, entschuldigt er sich damals in einem Interview.
Bitte nicht verwechseln!
Dieser lebensfrohe Taugenichts, Herumtreiber und Lebenskünstler, der gerne geht, wenn es langweilig wird, und sich gerne gehen lässt, also der Michael Schulte, den ich aus seinen großartigen Erzählungen und Reportagen kannte, aus „Führerscheinprüfung in New Mexico“, aus „Apfel“, seiner feinen Liebeserklärung an New York, oder „Bisbee, Arizona“, hätte das eigentlich mit einem ungerührten Schulterzucken abtun müssen. Und einem lapidaren „Hätte klappen können!“. Aber man darf Literatur nicht mit dem Leben verwechseln. Und am Ende ging es eben auch um Fragen der Subsistenz.
Dabei fing alles so gut an. Schulte legt einen Traumstart als Schriftsteller hin. Schon seine ersten Erzählungen werden wohlwollend aufgenommen von der Kritik. Man vergleicht ihn immer wieder mit Karl Valentin, aber mehr noch als von dessen absurdem Sprachwitz sind seine Geschichten vom komischen Surrealismus Boris Vians oder Alfred Jarrys beeinflusst. Aber während seines Aufenthalts in den Staaten, in New York und Santa Fe, spätestens aber, als er sich Mitte der Achtziger in der „größten offenen Irrenanstalt der USA“, in Bisbee ansiedelt und dort ein Café mit Galerie aufmacht, hat Schulte wohl gemerkt, dass die Realität grotesk genug ist.
Man muss nur genau genug hinsehen und vielleicht den Kopf etwas schräg halten, so lassen sich auch ohne fantastische Winkelzüge in der Literatur komische Funken schlagen. Der überdrehte Surrealismus seines Frühwerks wird in seinen „Geschichten von unterwegs“, so heißt eine Sammlung von 1981, deren Titel aber auch einen Großteil seines Werks überschreiben könnte, zurückgedrängt vom Anekdotischen. Und jetzt läuft er zu seiner wahren Form auf. Der Augsburger Maro Verlag hat kürzlich mit „Kühe im Mondschein“ einen Sampler zusammengestellt, der einen schönen repräsentativen Überblick bietet über die so gut wie vergriffenen Bücher im Haus.
Hier kann man nun einen Autor (wieder)entdecken, der – offenbar an Kurt Vonnegut geschult, den er auch übersetzt hat – mit einer beglückenden Unangestrengtheit, mit einer grandiosen Grundgelassenheit und Coolness, die sich nichts darauf einbildet, Geschichten erzählt, als könne er selbst gar nichts dafür.
Manchmal haben diese Geschichten eine Pointe und manchmal auch nicht. Komisch sind sie fast alle, oft besitzen sie jene Komik, die von Tragik grundiert ist. In jedem Fall entwickeln sie sich so scheinbar absichtslos, als würden sie sich selbst erzählen. Im Zentrum stehen die Geschichten aus Bisbee, jenem kleinen Minenstädtchen ein paar Meilen nördlich der mexikanischen Grenze, das zur Geisterstadt zu werden drohte, weil irgendwann alles Kupfer aus dem Berg gehauen war.
Dann kamen die Hippies, usurpierten und retteten den Ort in den Siebzigern, indem sie hier eine Art antikapitalistisches Arkadien schufen. „Wer hierherzieht, will den unamerikanischsten Traum aller Träume realisieren, mit einem Minimum an Geld, das heißt, mit einem Minimum an Arbeit irgendwie über die Runden zu kommen. Hier fängt man nicht als Tellerwäscher an, hier hört man als Tellerwäscher auf, vorletzte Sprosse einer reziproken Erfolgsleiter, deren Ziel das absolute Nichtstun ist, ein Nirwana der Erwerbslosigkeit.“
Ein Ort wie gemacht für Schulte, der sich immer besser mit den Außenseitern und Verpeilten verstanden hat. So etwas wie Dünkel kennt er sowieso nicht. Den hat ihm früh der irische Schriftsteller James Hanley ausgetrieben. „Damals noch ganz dem Geniekult verfallen, fragte ich ihn: ‚Haben Sie George Bernard Shaw gekannt?‘ Und er antwortete: ‚Nein, aber ich kenne den Briefträger und den Milchmann hier.‘“ Beide, Schulte und der Literaturbetrieb, sollten sich dringend aus ihrer Schmollecke herausbegeben und wieder Tuchfühlung aufnehmen. So viele komische Autoren von Format gibt es hierzulande nicht, als dass man so einfach auf ihn verzichten könnte.
■ Michael Schulte: „Kühe im Mondschein“. Maro Verlag, Augsburg 2015, 192 Seiten, 16 Euro