: „Die Justiz ist ein Problem“
KOLUMBIEN Noch pendelt das Land zwischen Friedensverhandlungen und aufflammenden Kämpfen. Aber der Verarbeitungsprozess hat begonnen
■ ist kolumbianischer Menschenrechtsverteidiger, seit 2011 Abgeordneter und seit 2014 Senator des Polo Democrático Alternativo. Er ist langjähriger Sprecher der Bewegung der Opfer der Verbrechen des Staates (Movice).
INTERVIEW KNUT HENKEL
taz: Herr Cepeda, seit ein paar Wochen wird zwischen der Farc-Guerilla und dem Militär wieder gekämpft. Gleichzeitig gehen die Friedensverhandlungen in Havanna weiter. Wie sehen Sie den Stand der Dinge?
Iván Cepeda: Vor knapp drei Jahren haben die Regierung und die Farc-Guerilla vereinbart, die Friedensverhandlungen inmitten des militärischen Konflikts aufzunehmen. Trotz eines einseitigen Waffenstillstands der Farc ist es nie zu einer echten Feuerpause gekommen. Das sorgt für Unsicherheit, für zivile Opfer, aber auch für Tote aufseiten der Militärs und der Guerilla. Die Verhandlungen in Havanna müssen jetzt schnell vorankommen, aber es ist auch notwendig, endlich zu einem beidseitigen Waffenstillstand zu kommen, um nicht den gesamten Prozess zu gefährden.
Fast drei Jahre wird jetzt schon verhandelt – ist Kolumbien seitdem sicherer geworden?
Zum ersten Mal seit mehr als 50 Jahren des Krieges mit der Farc führen beide Seiten substanzielle Verhandlungen und kommen zu Vereinbarungen, zu grundlegenden Kompromissen. Dazu gehört die Landfrage mit der Agrarreform, dazu gehören politische Reformen, um die Gesellschaft zu demokratisieren, und dazu gehören auch Vereinbarungen über die Bekämpfung des Drogenhandels. Zudem sind in Havanna erstmals die Opfer des Konflikts gehört worden – das ist ein Novum in unserer Geschichte. Gleiches gilt für die Tatsache, dass in Havanna auch die Militärs mit von der Partie sind. Neu ist auch die Genderperspektive in den Verhandlungen, denn erstmals wird auch über die Rechte der Frau und deren Verletzung gesprochen. All das sind gute Gründe, weshalb der Verhandlungsprozess in Havanna meiner Meinung nach erfolgreich und zukunftsweisend ist. Ich denke, dass man diesen Prozess verteidigen und dafür sorgen muss, dass er zu einem Abkommen führt, welches den Konflikt ein für alle Mal beendet.
Die Justiz in Kolumbien genießt nicht gerade hohes Ansehen. Mit einem Friedensabkommen wären die Gerichte sehr viel stärker gefordert – um Menschenrechtsverletzungen aufzuarbeiten, aber auch, um etwa den Schutz von Vertriebenen zu garantieren, die auf ihr Land zurückkehren. Kann sie das leisten?
Die Justiz ist ein zentrales Problem auf dem Weg der Befriedung Kolumbiens. Das Gros der Bevölkerung hat heute kaum Zugang zur Justiz. Wir diskutieren derzeit über eine Verfassungsversammlung, die nicht nur dem Friedensabkommen mit der Farc zustimmen, sondern auch eine Justizreform auf den Weg bringen könnte.
Gibt es denn dafür politischen Rückhalt?
Bisher sind die Eliten des Landes recht geizig gewesen mit der Finanzierung von Reformen, die den Friedensprozess begleiten müssten. Notwendige Reformprozesse wurden weder politisch noch finanziell gefördert. Aber mit dem Friedensprozess sind auch neue politische Kräfte mobilisiert worden. Die kolumbianische Linke ist aktiver und stärker involviert in diesem Transitionsprozess, den Kolumbien so dringend braucht. Sie könnte für Finanzmittel und politischen Rückhalt sorgen.
Viele Beobachter gehen davon aus, dass die Farc eine neue politische Bewegung gründen wird. Allerdings sind die rechten Paramilitärs nach wie vor in Kolumbien präsent, auch wenn sie unter neuem Namen auftreten. Mitte der 1980er Jahre wurden mehrere Tausend Mitglieder der Unión Patriótica, darunter Ihr Vater, von Killern getötet. Droht sich die Geschichte zu wiederholen?
Das ist ein ernstes Problem und muss auch ein Thema der Friedensverhandlungen in Havanna sein. Sowohl dem kolumbianischen Staat als auch der Armee fehlt eine Strategie zur Bekämpfung der Paramilitärs. In Havanna sollten Parameter festgelegt werden, um die Paramilitärs wirksam zu bekämpfen.
Als Sprecher der Opferorganisation Movice und als investigativer Publizist haben Sie sich immer wieder mit der Rolle von Expräsident Álvaro Uribe Vélez beschäftigt. Welche Rolle spielt er derzeit in Kolumbien?
Uribe hat alles getan, um den Friedensprozess von Havanna zum Scheitern zu bringen, denn er plädiert für eine militärische Lösung. Doch dieser Versuch ist zunächst einmal gescheitert. Ich hoffe, dass die extreme Rechte endlich eine realistischere Position einnimmt.
Welche Rolle spielen die Unternehmer des Landes bei diesem Friedensprozess? Viele Analysten sind der Meinung, dass Präsident Juan Manuel Santos vor allem grünes Licht für den Friedensprozess gegeben hat, um Investoren ins Land zu holen.
Die Unternehmer spielen eine fundamentale Rolle bei den Verhandlungen und ich habe den Eindruck, dass die Bereitschaft der Unternehmer für eine Verhandlungslösung zunimmt, weil sie merken, dass der Frieden für die Wirtschaft ein Segen sein könnte. Alle sind sich einig, dass der Konflikt eine zentrale Hürde für die Entwicklung der Wirtschaft ist und für die Entwicklung von vielen Regionen Kolumbiens.
Wo sehen Sie die zentralen Hürden des Nachkonflikts?
Wir brauchen erst einmal einen umfassenden, möglichst alle Fragen beantwortenden Friedensvertrag, wir brauchen eine Lösung des Paramilitarismus und wir brauchen Lösungen für die sozialen Probleme im Land, denn die sind nun einmal der Auslöser für den Konflikt. Das sind zentrale, politische Herausforderungen.
Welche Rolle spielt die Erinnerungsarbeit – die Gründung von Museen und Orten der Erinnerung?
Das ist ein zentrales Element für die Versöhnung des Landes und den Aufbau des Friedens in Kolumbien. Die Erinnerung an eine Vergangenheit der Verbrechen ist wichtig für eine Gesellschaft, um kulturelle und ethische Werte aufzubauen, die die Wiederholung der Geschichte verhindern.
Wie sind die Opfer heute in die gesellschaftliche Debatte eingebunden?
Die Opfer sind heute viel sichtbarer als noch vor ein paar Jahren, aber das reicht noch immer nicht aus. In Kolumbien gibt es etwa sieben Millionen Opfer. Viele von ihnen kommen aus ländlichen Regionen und haben kaum Zugang zu den großen Medien. In diesem Bereich gibt es viel Arbeit, um die Gesellschaft auf die Realität der Opfer von mehr als fünfzig Jahren Krieg aufmerksam zu machen.