: Angst um den Asphalt
UMWELT Schleswig-Holstein möchte die Biotope im Land dokumentieren. Vertreter der Wirtschaft und der CDU fürchten, dass dadurch der Bau von Straßen erschwert wird
Als Biotop wird ein abgrenzbarer Lebensraum bezeichnet, in dem eine Gemeinschaft verschiedener Arten lebt: die Biozönose. Biotop und Biozönose bilden ein Ökosystem.
■ Es gibt unterschiedliche Biotoptypen wie Wasser-, Land- oder Feuchtbiotope.
■ Moore, Sümpfe, Röhrichte und andere Biotope sind durch das Bundesnaturschutzgesetz geschützt und dürfen in der Regel nicht zerstört werden.
■ Das Land Schleswig-Holstein versucht seit 1993 ein „Biotopverbundsystem“ aufzubauen, um die Lebensräume der heimischen Tier- und Pflanzenarten zu schützen. Dieses Netz besteht aus kleineren, zusammenhängenden Biotopen.
VON ANDREA SCHARPEN
Es geht um Straßen, Stromtrassen und das schnelle Internet: Deren Ausbau sieht der Unternehmensverband Nord (UV) bedroht, weil sich die schleswig-holsteinische Landesregierung Natur im Land allzu genau ansehen könnte. Der Verband kritisiert das Vorhaben von SPD, Grünen und SSW, bis 2019 alle Biotope im Land zu dokumentieren. „Wir sehen darin eine Investitionsbremse“, so UV-Geschäftsführer Sebastian Schulze.
Biotope sind natürliche Lebensräume wie zum Beispiel Tümpel oder auch nur Baumgruppen. 60 Kartierer sollen in den nächsten Jahren solche schützenswerten natürlichen Flächen im Land dokumentieren und in einer Geo- und Sachdatenbank zusammenfassen. Das hat die Landesregierung schon im vergangenen Jahr beschlossen. Die Kosten schätzt das Kieler Landwirtschaftsministerium auf rund acht Millionen Euro. Die Daten sollen als Entscheidungsgrundlage für Bauplanungen und Infrastrukturmaßnahmen dienen.
Unternehmervertreter Schulze vermutet jedoch, dass die neuen Daten gerade die Planung und den Bau neuer Infrastruktur erheblich behindern werden: Es sei zu erwarten, dass bei der Erhebung neue Biotope ausgewiesen würden: „Dann wären viele Flächen im Vorhinein für Entwicklungen tabu.“ Auch könnten Investoren von steigenden Kosten durch zu leistenden Ausgleichsflächen abgeschreckt werden, sagt er.
Unterstützung bekommt Schulze vom agrarpolitischen Sprecher der CDU-Fraktion, Heiner Rickers. Die Biotopkartierung sei „nur eine millionenschwere Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für den Grünen nahestehende Umweltingenieurbüros auf Kosten des Steuerzahlers“, sagte der Christdemokrat dem Flensburger Tageblatt. Die Kosten stünden in keinem Verhältnis zum Nutzen der Daten. „Alle naturbelassenen Flächen sind schon heute quadratmetergenau bekannt.“
Dem widerspricht Umweltminister Robert Habeck (Grüne): „Die Kartierung ist kein Selbstzweck.“ Gerade die Büros, die Infrastrukturmaßnahmen planten, benötigten Daten über schützenswerte Biotope. Somit sei das Vorhaben nicht nur eine notwendige Grundlage, um die richtigen Schwerpunkte im Naturschutz zu setzen, sondern auch um Planungsprozesse rechtssicher zu gestalten.
Auch die Grünen-Abgeordnete Marlies Fritzen ist davon überzeugt, dass die Kartierung am Ende der Planungssicherheit von Bauprojekten zugute käme – und damit auch der Wirtschaft. „Bisher arbeiten wir mit Daten aus den 1990er-Jahren“, sagt Fritzen. Und die seien so veraltet wie in keinem anderen Bundesland.
Zuspruch für das Projekt kommt von den Naturschutzverbänden: Tobias Langguth vom BUND hat für die späten Einwände der Wirtschaft kein Verständnis: „Man kann doch nicht allen Ernstes fordern, nicht so genau hinzuschauen, weil man dann ja Unschönes entdecken könnte.“
Ingo Ludwichowski vom Nabu schlägt in die gleiche Kerbe: Für kein Wirtschaftsunternehmen sei es vorstellbar, auf eine Inventur zu verzichten. „Beim Naturschutz aber gibt es einen Aufschrei.“ Er vermutet, dass die Begehung der Flächen „einen dramatischen Rückgang naturnaher Strukturen, wie Teiche, Tümpel oder Feuchtwiesen“ offenlegen wird. Ludwichowskis Folgerung: „Wir müssen die Normallandschaft deshalb noch stärker schützen.“