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Archiv-Artikel

WAS HILFT GEGEN SOMMERBLUES? KURDISTAN, AUBERGINEN UND BERGHAIN! Hoffnung ist das bessere Ecstasy

VON FATMA AYDEMIR

Ich fühle mich wie ein Kind, dessen Eltern es sich nicht leisten können, die Sommerferien im Ausland zu verbringen. Es sind 30 Grad und meine griechischen Hartz-IV-Freunde sind sich zu gut dafür, um an den Schlachtensee zu fahren. „Das einzige Gewässer, in dem ich schwimme, ist das Mittelmeer“, sagt G. Kann ich verstehen. Aber jetzt sind wir eben hier, an diesem ersten richtigen Sommerwochenende.

In Schönefeld sind 100 Flugzeuge gelandet, wegen Champions-League-Finale, Samstagabend nach 20.45 Uhr herrscht Totenstille in Neukölln, wegen Champions-League-Finale, und in meinem Kopf singt Ella Fitzgerald „Summertime“, das vielleicht melancholischste Lied, das je über den Sommer geschrieben wurde. Der Song war von einem ukrainischen Wiegenlied inspiriert. Kein Wunder.

Ein bewährtes Mittel gegen den Sommerblues ist es, drei schwule Männer in deine Küche einzuladen und sie für dich kochen zu lassen. „Die Gay-Community in Berlin ist superoberflächlich“, sagt G., während S. und O. Auberginen aushöhlen. Großartig. Genau diese Art von Gespräch brauche ich jetzt.

Schaumgummi-Wahnsinn

„Ich bin auch superoberflächlich“, gebe ich zu bedenken. Ich mag zum Beispiel keine Menschen, die Flip-Flops tragen. Es gibt Freunde, die ich deshalb im Sommer grundsätzlich meide. Patsch-patsch. Schaumgummi, der gegen Fußsohlen klatscht. Patsch-patsch. Das treibt mich in den Wahnsinn, wie Tomaten-Schmatzgeräusche. Auch ein bewährtes Mittel ist das Berghain am Sonntagabend. M. und ihre Freundin C., die gerade aus Montreal da ist, sehen das auch so.

Auf dem Weg an den Ostbahnhof fahren drei hupende Autos über die Sonnenallee an mir vorbei. Mein iPhone verrät mir, dass die ersten Hochrechnungen der türkischen Parlamentswahlen da sind. Ha! Die HDP hat die 10-Prozent-Hürde geschafft. Einmal Sekt auf Eis für alle, bitte. Hoffnung ist das bessere Ecstasy.

Die Panoramabar, das Kurdistan des Berghain, ist leider geschlossen. Das ist der Ort für die Muschis, die total auf Love und Disco sind. Wir halt. Also sammelt sich alles auf dem großen Floor und die Musik versucht einen Kompromiss zu finden zwischen dem harten Bumm-bumm-bumm und dem verliebten Da-da-daaa.

Latex und Glitzer

Ab und zu kreischt einer, klappt ganz gut. Aber das eigentlich Gute daran, dass die Panne-Bar zu hat, ist, dass wir die „Eisbar“ im oberen Stock entdecken. Es gibt Milkshakes mit Sahne da, und Eis, 80 Cent pro Kugel. Läuft.

Und der Garten ist geöffnet. Das erfreut uns mindestens 8 Minuten lang. „Why is everything closing in this ‚super hot club‘?“ fragt C., als uns ein grummeliger Mitarbeiter wieder aus dem Garten scheucht. Wir gehen rein und stellen uns an den Rand der Tanzfläche, wippen ein bisschen mit und unterhalten uns über Security Politics in the Middle East, bis ein Ellenbogen in meine Fresse rammt. „Sorry, sorry, sorry, sorry“, sagt ein verschreckter Jüngling mit Glitzer im Gesicht. Wie soll man hier schon jemandem böse sein, denke ich, und dann höre ich ein „patsch-patsch“. Trägt da einer etwa Flip-Flops? Aber nein, eine Hand klatscht im Takt gegen den Hintern eines kahlköpfigen Mannes in Latexsuit. Puh, Glück gehabt. Die Hand gehört einer jungen Frau mit hochgesteckten Girlie-Zöpfen, die bemerkenswert schnell auf ihren Spice-Girls-Plateau-Schuhen tanzt. Ich bin ein Kind, denn ich lecke Erdbeereis und es ist 1996.