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Archiv-Artikel

Tierische Visionen

OST-ZOO Zu DDR-Zeiten sollte der Tierpark eine Utopie versinnbildlichen. Kinder und Jugendliche, die in seinem Umfeld wohnen, gingen am Samstag auf die Suche danach

VON PHILIPP IDEL

Samstagmorgen, im U-Bahnhof Tierpark: Auf der gelb gekachelten Wand in der Unterführung läuft die alte DDR-Fernsehserie „Tierpark Teletreff“ mit Prof. Dr. Dr. Dathe.

Heinrich Dathe war von der Gründung des Tierparks 1955 bis in die Wendezeit Direktor des in Friedrichsfelde gelegenen Landschaftstiergartens und eine der prominentesten Fernsehfiguren der DDR. Unweit seiner einstigen Wirkungsstätte erinnert sich aber kaum jemand mehr an ihn: Nur wenige Leute bleiben stehen, um zu hören, was der längst verstorbene Dathe im DDR-Fernsehen damals zu erzählen hatte.

Ein Tierpark fürs Volk

Aber Dathe soll ja an diesem Samstagmorgen auch gar nicht im Mittelpunkt stehen. Die „Tierpark Teletreff“-Sequenz ist nur ein kleiner Teil einer aktuelleren Sendung, die Jugendliche aus dem Umfeld des Tierparks als öffentliche Straßentheaterprobe aufführen. Das Thema des Stücks: der Tierpark als DDR-Utopie – und deren Relevanz heute, im Jahre 2015, im Ostteil der Stadt.

Zu DDR-Zeiten formulierte der damalige Zooverein das Tierparkprojekt so: „Es handelt sich darum, für die in den östlichen und nördlichen Teilen Berlins wohnhafte Arbeiterbevölkerung einen Tierpark zu erstellen, der allgemein beliebte und sehenswerte Tiere gegen ein möglichst geringes Eintrittsgeld zeigen soll.“ Das mag nach dem Krieg nicht wenig gewesen sein – aber nach sozialistischer Utopie klingt es nicht, eher bieder und BRD-sozialdemokratisch.

Die heutigen Ostberliner Jugendlichen finden die Tierpark-Utopie denn auch nicht in der damals projektierten allgemeinen Zugänglichkeit des Parks, sondern in vier Bronzeskulpturen des Bildhauers Walter Lerche, die vor dem zum Tierpark gehörenden Schloss Friedrichsfelde zu sehen sind. Sie zeigen Kinder mit Tieren. Kinder, die diese Tiere nicht beobachten oder streicheln, sondern vorwärts treiben, mit sich ziehen.

Die nackt oder im FDJ-ähnlichen Sportdress dargestellten Kinder sehen nach Aufbruchstimmung aus. Zum Beispiel ein Mädchen, das einen Schimpansen bei der Hand nimmt und vorwärts schreitet – als ginge es in eine goldene Zukunft. „Die weiß doch gar nicht, wo es hingeht“, sagt ein Mädchen, das im U-Bahnhof auf Sendung ist.

Warten auf Alex

Wer sich heute rund um den Tierpark herum bewegt, weiß, dass von der einst postulierten Hoffnung nicht viel übrig geblieben ist. Die Orte, die einmal Hort des Utopischen sein sollten, sind grau und verfallen.

Kein Wunder, dass auch Samuel Becketts tiefschwarzes „Warten auf Godot“ Teil der Straßentheateraufführung ist – als „Warten auf Alex“ im Ostberliner Jugendslang vorgetragen. Und dass das Schlusswort der Sendung – wie bei einer echten Fernsehserie von einem lächelnden Moderator vorgetragen – zugleich ein Abschiedswort ist: „Erwachsen werden heißt verstehen: Der ganze Irrsinn da draußen ist real.“