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Archiv-Artikel

Er wird euch fehlen

TALK Jauch hört auf. Zum Abschied verbeißt sich der Mainstream ein letztes Mal in eine Sendung, die angeblich keiner vermisst

Günther Jauch hört auf mit „Günther Jauch“. Was für ein Schock! Erst tritt Sepp Blatter zurück, und jetzt wirft auch noch der liebste Talkmaster der Deutschen die Brocken hin. Ja, hört das denn nie auf? Und denkt der Mann immer nur an sich selbst?

Wie viele Arbeitsplätze von seiner Sendung abhängig waren! Nach der Krise der Printmedien droht nun der Onlinejournalismus auch noch zusammenbrechen. Ganze Nachrichtenportale lebten doch bislang gut davon, allmontäglich minutiös die Jauch-Sendung des Vorabends zu verschriftlichen.

Und welch Volksbildungspotenzial hier verloren geht! In all den Jauch-Besprechungen auf Welt-, Spiegel- und FAZ-Online hatte eine ganze Schülergeneration in wöchentlichen Updates die Chance zu erlernen, wie man eine Nacherzählung verfasst. Auf einem sprachlichen Niveau zumal, das selbst Siebtklässler nicht überfordert.

Und nicht nur das: Jetzt bleibt den armen liberalen Bildungsbürgern und Sonntagabend-Intellektuellen nur noch der „Tatort“, um ihre Überlegenheit, ihre Nonkonformität und ihr kritisches Bewusstsein unter Beweis zu stellen. Denn dass Jauch es einfach nicht kann, ist der unverhandelbare Mainstream all jener, die sich gegen den Mainstream stehen sehen. Einseitig und tendenziös?

Das ist doch alles nur Politiksimulation, stellen sie Woche für Woche erneut fest, aber anstatt dass sie dann vielleicht einfach mal was anderes machen am Sonntagabend, quaken sie beim nächsten Mal, dass die Fragen aber nicht kritisch genug waren (das heißt dann: Es fehlt der Biss). Oder kritisch in die falsche Richtung (das heißt dann: einseitig und tendenziös). Oder dass die falschen Gäste eingeladen waren. Oder dass der Titel der Sendung zu reißerisch war.

Also statt des nur auf die schnelle Quote schielenden „Die Welt in Unordnung – kann Politik noch Krisen lösen?“ könnte man im Öffentlich-Rechtlichen (unsere Gebührengelder!) doch mindestens so etwas wie „Aspekte der globalen Gegenwartssituation unter Berücksichtigung politischer Einflussmöglichkeiten anlässlich internationaler Gipfeltreffen“ erwarten.

Vermutlich sind alle Kritikpunkte an Günther Jauchs „Günther Jauch“ sehr gerechtfertigt, und wahrscheinlich nervt die Sendung kolossal. Ich kann das nicht beurteilen, ich habe sie praktisch nie gesehen. Ich habe nämlich tatsächlich Besseres zu tun am Sonntagabend, als gelangweilt vor der Glotze herumzuhängen und mich darüber aufzuregen, dass eine Polit-Talkshow im Fernsehen so ist, wie eine Talkshow im Fernsehen nun einmal ist.

Bleibt die Frage: Woher diese Verbissenheit? Was treibt all die armen Seelen dazu, sich allwöchentlich in recht stattlicher Anzahl vor den Empfangsgeräten zu versammeln – immerhin um die 4,5 Millionen; so viel zum Thema „Das lineare Fernsehen ist gestorben“ –, um sich anschließend gegenseitig zu versichern, wie furchtbar das alles ist?

Ich jedenfalls habe schon des Öfteren im Fernsehkasten Sendungen gesehen, die meiner Meinung nach politisch gar nicht mal zu hundert Prozent völlig super waren. Das ist kein Jauch’sches Alleinstellungsmerkmal. Und man kann darüber hinwegkommen.

Das Bashing von Polit-Talkshows ist so originell, wie der Fifa die Kommerzialisierung des Fußballs vorzuwerfen. Günther Jauch ist wie Westerwelle ohne Krebs. Darauf kann jeder einschlagen, der sich für irgendwie politisch bewusst und kritisch hält, sich dabei auch noch gut fühlen, und das alles, ohne auch nur einen einzigen politischen oder kritischen Gedanken denken zu müssen. Diskurskritik für Leute, die selbst diskursiv nichts auf die Reihe kriegen. Und dabei ist es auch noch so schön gemeinschaftsstiftend in der gegenseitigen Versicherung des eigenen Topcheckertums.

Das sind, zusammengenommen, eine ganze Menge wichtiger Aufgaben, die Günther Jauch mit „Günther Jauch“ vier Jahre lang souverän erledigt hat. Eine Menge Leute, so viel kann man als gesichert annehmen, wird ihn noch schmerzlich vermissen. HEIKO WERNING