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Archiv-Artikel

„Ich lebe anders, als es die Gesellschaft erwartet“

LITERATUR Ein Gespräch mit der indonesischen Schriftstellerin Ayu Utami über das Ablegen einer feudalistischen Muttersprache, die Rufe der Eisverkäufer und das Gliedern von Romanen

Ayu Utami

■ Ayu Utami kam 1968 zur Welt und gehört zu den bekanntesten AutorInnen in Indonesien. Unter der Suharto-Regierung arbeitete sie als Journalistin und erhielt Berufsverbot. 1998 erschien ihr erster Roman „Saman“, der ein Bestseller wurde. Drei Jahre später erschien „Larung“, eine Fortsetzung von „Saman“. Seither hat Ayu Utami etliche Romane und Essays veröffentlicht. Darin setzt sie sich intensiv mit der politischen Geschichte ihres Landes auseinander. Auch zu Sex und Religion äußert sie sich ohne Zurückhaltung.

INTERVIEW KATHARINA BORCHARDT

taz: Frau Utami, auf Ihre Homepage haben Sie ein Foto vom begrünten Innenhof Ihres Hauses in Jakarta gestellt. Sitzen Sie dort oft und schreiben?

Ayu Utami: Ja, dort sitze ich oft. Meistens schon sehr früh morgens, bevor ich ins Büro gehe. Von ferne höre ich die Händler durch die Straßen ziehen und Brot oder Eis anpreisen. Aus Lautsprechern wird zum Gebet in die Moschee gerufen. Ich arbeite dort meistens, bis die Sonne so hoch steht, dass es mir draußen zu heiß wird.

Musik hören Sie nicht bei der Arbeit?

Nein, ich höre beim Arbeiten nie Musik, weil der Takt der Musik meinen eigenen Rhythmus stören würde. Selbst beim Joggen höre ich keine Musik. Ich will mich ausschließlich nach mir und meinem eigenen Herzschlag richten.

Ihr erster Roman „Saman“ erschien 1998 in Indonesien. Bis dahin hatten Sie vor allem als Journalistin gearbeitet und nicht als Autorin. Warum dieser Wechsel?

Ich habe schon während meines Studiums als Journalistin gearbeitet. Als 1994 drei wichtige Zeitungen in Indonesien verboten wurden, haben wir uns an der Universität dagegen gewehrt. Wir haben eine Allianz für indonesische Journalisten gegründet und illegal eine eigene Zeitschrift herausgebracht. Das Suharto-Regime hat uns deswegen als regierungsfeindlich eingestuft, und drei meiner Freunde wurden verhaftet. Ich selbst habe eine Art journalistisches Berufsverbot bekommen. Deshalb habe ich angefangen, literarische Texte zu verfassen.

Damals haben Sie auch das Kulturzentrum Utan Kayu mitbegründet. War das eine Reaktion auf das Berufsverbot?

Ja, wir mussten ja irgendwie reagieren. Mit Utan Kayu wollten wir die Freiheit des Denkens und des Ausdrucks und auch die Menschenrechte fördern. Inzwischen führt das Kulturzentrum Salihara diese Arbeit programmatisch weiter. Auch dort arbeite ich mit. Kultureinrichtungen in freier Trägerschaft sind nach wie vor selten in Indonesien. Deswegen ist unsere Arbeit auch fast zwanzig Jahre nach Suhartos Rücktritt noch sehr wichtig.

„Saman“ erschien kurz vor dem Sturz der Suharto-Regierung. In dem Roman geht es um einen katholischen Priester, der sich für unterdrückte Kleinbauern engagiert, in den Widerstand geht und sich noch dazu verliebt. Der Roman spielt auf verschiedenen Zeitebenen und ist assoziativ erzählt. Ist er für Sie eine Art Jugendwerk?

„Saman“ ist auf jeden Fall ein Produkt seiner Zeit. Als der Roman erschien, ging die „Neue Ordnung“, wie das Suharto-Regime genannt wurde, gerade zu Ende. Das Buch ist ziemlich chaotisch; eigentlich hat es fast keine Struktur. Das war meine Reaktion auf die vielen Zwänge, denen wir zur Zeit der „Neuen Ordnung“ ausgesetzt waren.

„Saman“ wurde ein Bestseller.

Ja, das Buch schlug wirklich enorm ein. Damals sehnten sich viele Menschen nach mehr gesellschaftlicher Freiheit. Sie fanden sich in „Saman“ wieder. Außerdem schreibe ich darin sehr explizit über Sex, was die Leser als befreiend empfanden. Heutzutage ist das Thema Freiheit für die indonesische Leserschaft allerdings nicht mehr so bedeutsam. Aktuell wird mehr darüber geschrieben, wie man Erfolg haben kann im Geschäftsleben.

Auch der Roman „Larung“, der 2001 erschien, hat keine einheitliche Struktur. Er setzt sich aus verschiedenen Erzählsträngen um eine Handvoll Figuren zusammen, die teils auch schon in „Saman“ aufgetreten sind. Es geht darin um das Leben unter General Suharto und das gesellschaftliche Trauma, das die Massenmorde 1965/66 an Kommunisten und Chinesen in Indonesien verursacht haben. „Saman“ und „Larung“ sind als Doppelroman zu lesen.

Auch „Larung“ ist noch ziemlich unstrukturiert. Der Roman stammt aus derselben Schaffensphase. Erst die Bücher, die ich danach geschrieben habe, habe ich stärker gegliedert.

Warum?

Weil in der Zeit nach Suharto, der „Reformarsi“, genau das Gegenteil passierte: Es wurde politisch unruhig, und viele Menschen verloren die Orientierung. Sogar die Grundidee des indonesischen Staates, die Pancasila, wurde angezweifelt. In dieser Phase des gesellschaftlichen Chaos habe ich angefangen, meine Bücher sehr klar und deutlich zu strukturieren. Leider wurden diese Bücher aber noch nicht ins Deutsche übersetzt.

Empfinden Sie Ihre Arbeit bis heute als politisch?

In meinem Leben ist alles politisch: mein Schreiben, meine Arbeit bei Salihara und auch mein Privatleben.

Wieso auch Ihr Privatleben?

Weil ich anders lebe, als es die Gesellschaft erwartet. Eine indonesische Frau sollte heiraten und Kinder bekommen. Geheiratet habe ich 2011 dann zwar doch, aber vor allem um mich mit der katholischen Kirche in Indonesien solidarisch zu zeigen. Die Besitzverteilung mit meinem Mann, mit dem ich vorher schon lange zusammengelebt habe, ist vertraglich geregelt. Kinder haben wir nicht, was auch unüblich ist. Ich finde, eine Frau muss weder Jungfrau bleiben noch verheiratet sein. Damit aber kann man in Indonesien, das auch stark islamisch geprägt ist, schon mal anecken.

Haben Sie als Autorin von islamischer Seite schon einmal Probleme bekommen? Schließlich sind Ihre Bücher politisch sehr kritisch und erotisch sehr explizit.

Nein, ich spüre da keine Einschränkungen und beim Arbeiten keinen direkten äußeren Druck. Aber ich weiß natürlich, dass versucht wird, in verschiedenen Landesteilen die Scharia einzuführen.

Sind Ihre Werke dort trotzdem erhältlich?

Meine Bücher können überall in Indonesien verkauft werden. Bislang wurde die Scharia nur in der Provinz Aceh tatsächlich eingeführt. Noch hat das keine Auswirkungen auf den Verkauf von Büchern. Theoretisch sind meine Bücher also auch dort erhältlich. Ich glaube allerdings nicht, dass die Menschen in Aceh Interesse daran haben.

Beschäftigt Sie die fortschreitende Islamisierung in Indonesien?

Dogmatismus beunruhigt mich in jeglicher Form, sei er nun religiös oder weltlich begründet. Allerdings haben aktuell viele Gewalttaten in Indonesien tatsächlich einen islamistischen Hintergrund. Auch deshalb entwickele ich seit einigen Jahren etwas, das ich selbst „kritische Spiritualität“ nenne. Diese kritische Spiritualität arbeite ich in meine Romane ein, wie etwa in „Bilangan Fu“ („Die Zahl Fu“), aber ich schreibe auch Essays darüber, in denen ich religiöse Texte sprachkritisch unter die Lupe nehme.

Sie selbst schreiben Ihre Texte auf Bahasa Indonesia, der offiziellen Sprache in einem Land, in dem rund 700 regionale Sprachen existieren.

Meine Muttersprache ist eigentlich das Javanische, doch ich habe mich schon als Jugendliche gewehrt, diese Sprache zu sprechen. Das Javanische ist eine sehr feudalistische Sprache mit verschiedenen Höflichkeitsebenen. Mich hat Bahasa Indonesia daher regelrecht von meiner Muttersprache befreit. Der berühmte indonesische Autor Pramoedya Ananta Toer hat das übrigens ähnlich empfunden. Auch für ihn war die indonesische Amtssprache eine Befreiung von feudalistischen Strukturen.

Könnten Sie denn theoretisch noch Javanisch sprechen?

Leider spreche ich nicht mehr besonders gut Javanisch. Das bereue ich auch ein bisschen, denn letztlich habe ich damit auch einen Teil meines kulturellen Erbes verloren. Es ist und bleibt ein Dilemma: Auf der einen Seite empfinde ich es als einen Gewinn, diese freiere Sprache des Indonesischen zu haben, auf der anderen Seite ist mir dadurch etwas verloren gegangen. Ich habe mich eine Zeitlang intensiv mit dem Javanischen beschäftigt, das in Ost-Java gesprochen wird. Diese Sprachvariante besitzt nicht so viele sprachliche Hierarchien. Ich habe das auch in meine Bücher einfließen lassen. Das ist eine Möglichkeit für mich, einen neuen Umgang mit den Traditionen zu finden.

■ Ayu Utami: „Saman“. Aus dem Indonesischen von Peter Sternagel. Horlemann-Verlag, 192 Seiten, 16,90 Euro (gebundene Ausgabe). Die Taschenbuchausgabe erscheint im Juli 2015: 240 Seiten. 11,90 Euro

■ Ayu Utami: „Larung“. Aus dem Indonesischen von Peter Sternagel. Horlemann-Verlag, 200 Seiten, 19,90 Euro (erscheint im August 2015)