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Archiv-Artikel

„Der Stoff hat mich gefunden“

LITERATUR Ihren Debütroman „Der Russe ist einer, der Birken liebt“ hat das Gorki gleich auf die Bühne gebracht. Nun soll dort bald eine Dramatisierung des zweiten Buches von Olga Grjasnowa folgen

Olga Grjasnowa

■ geboren 1984 in Baku in Aserbaidschan, das damals noch Teil der Sowjetunion war. 1996 übersiedelte sie mit ihrer Familie als Kontingentflüchtlinge nach Deutschland. Grjasnowa studierte unter anderem am Deutschen Literaturinstitut Leipzig, sie lebt in Berlin. 2012 wurde ihr Debütroman „Der Russe ist einer, der Birken liebt“ veröffentlicht, der ein Jahr später als Stück am Maxim Gorki Theater adaptiert wurde.

■ Im Herbst soll nun am Gorki die Bühnenadaption ihres zweiten Romans, „Die juristische Unschärfe einer Ehe“, folgen. Aktuell schreibt Grjasnowa an ihrem dritten Roman, der eine Flucht aus Syrien thematisiert.

INTERVIEW MIRJA GABATHULER

taz: Frau Grjasnowa, was kann das Theater leisten, was ein Roman nicht leisten kann?

Olga Grjasnowa: Sicher eine Unmittelbarkeit schaffen. Im Theater sitzt man im besten Fall mit 400 Leuten im Publikum, was natürlich ungeheuer ansteckt. Das Unmittelbare hat auch viel mit der Mimik der Schauspieler zu tun, der Körperlichkeit ihres Auftritts und ihrer Sprache. Auf der Bühne sind die ganz großen Gefühle und Rollen möglich, weil Pathos hier nicht so erschreckt. Ein Roman wirkt viel privater und das Spiel mit den Emotionen ist viel zurückgenommener.

Wie ging es Ihnen, als Sie Ihr Romandebüt „Der Russe ist einer, der Birken liebt“ auf der Bühne sahen?

Bei einer Szene habe ich mich geärgert, dass ich nicht selbst auf die Idee gekommen bin. Das war die Szene, in der Mascha, die Hauptfigur, ein Kind abtreibt. Im Buch war der Vater des Kindes nicht bekannt, im Theater ist das Kind von Maschas Freund Elias. Das ergibt viel mehr Sinn. Grundsätzlich war es für mich wahnsinnig spannend zu sehen, was Regisseur Yael Ronen und die Schauspieler aus dem Text gemacht haben. Und was das Medium des Theaters damit macht.

Im Herbst wird am Gorki Ihr zweiter Roman „Die juristische Unschärfe einer Ehe“ adaptiert. Der handelt von einer komplexen Dreiecksgeschichte zwischen einer russischen Exballerina, ihrer Geliebten und ihrem Schein-Ehemann. Wie weit muss diese vereinfacht werden, damit sie auf der Bühne nachvollziehbar bleibt?

Ich glaube, gar nicht. Natürlich hat man im Theater keine 250 Seiten und unendlich viel Zeit zur Verfügung, um die Konstellation der Figuren darzulegen. Aber ein gutes Theaterstück lebt ja davon, dass es nicht flach ist und die Beziehungen sich erst nach und nach aufklären.

Haben Sie sich schon überlegt, selbst ein Theaterstück zu schreiben?

Ich wollte eigentlich schon immer fürs Theater schreiben, Dramatik war sogar mein Hauptfach beim Studium in Leipzig und an der Universität der Künste in Berlin. Nach jedem Roman nehme ich mir vor: Jetzt schreibe ich ein Theaterstück. Aber mir fehlt bisher der richtige Konflikt dafür. Denn ich gehe beim Schreiben von Themen aus, die mich interessieren, und von Figuren, bei denen ich manchmal erst nach einem Jahr herausfinde, was sie eigentlich für ein Problem miteinander haben … Ich frage mich gerade, ob es nicht eine Lebenslüge ist, dass ich fürs Theater schreiben möchte (lacht).

Sie leben und schreiben in Berlin, in Ihren Romanen ist die Stadt immer wieder Thema. Wie wichtig ist die großstädtische Erfahrung für Ihr Schreiben?

Orte gehören für mich beim Schreiben zum Allerwichtigsten. Den Ort der Romanhandlung muss ich als Autorin genau vor mir sehen und spüren. Für mein Debüt, das teilweise in Tel Aviv spielt, habe ich daher zur Recherche sechs Monate in Israel gelebt. Das neue Buch, an dem ich gerade schreibe, ist in dieser Hinsicht ein Experiment, weil es tatsächlich von einem Ort handelt, an dem ich noch nie war.

Von welchem Ort?

Von Syrien. Es wird um eine sogenannte illegale Fahrt über das Mittelmeer gehen. Die versuche ich gerade zu rekonstruieren.

Ein sehr aktuelles Thema.

Ja, ich verfolge den Konflikt in Syrien schon seit ungefähr eineinhalb Jahren. Der Stoff hat mich gefunden, ohne dass ich danach gefragt hätte. Und Krieg und Konflikt, das sind ja sowieso meine Themen.

Krieg und Konflikt als Ihr Thema – das müssen Sie erklären.

Ethnisch motivierte Gewalt hat mich bei den ersten Büchern schon beschäftigt, und beim dritten Buch steht sie jetzt im Zentrum. Ich versuche zu verstehen, welche Mechanismen zu einem ethnisch motivierten Massenmord führen und wieso das eigentlich so leicht in jedem Land und Kontext inszeniert werden kann.

Gibt es neben dem Krieg noch andere Themen, die bei Ihnen immer wieder auftauchen?

Essen. Und Esskultur.

Also wird es eines Tages auch ein Kochbuch von Olga Grjasnowa geben?

Ich bin fasziniert von Kochbüchern und dieser ganzen Industrie, die dahintersteckt. Und ich bin gar keine schlechte Köchin. Nur mit Mürbeteig kämpfe ich, wie Mascha in meinem Roman, noch immer. Am liebsten koche ich französisch und italienisch, es hat ja etwas zutiefst Deutsches, das zu tun. Aber ich versuche jetzt auch die persischen Gerichte zu lernen, im Grunde eine edlere Version der aserbaidschanischen Küche, die in meiner Familie früher oft gekocht wurden.

Ihre Kochgewohnheiten spiegeln auch Ihre Biografie. In Baku geboren, sind Sie mit elf Jahren nach Deutschland gekommen. Sie wehren sich dagegen, auf Ihren Migrationshintergrund angesprochen zu werden. Was stört Sie daran?

Das Stichwort Migrationshintergrund – was sagt das eigentlich aus? Es ist für mich ein inhaltsloser Begriff. Ich bin mittlerweile zwanzig Jahre in Deutschland, werde aber zum Beispiel noch sehr oft als Vertriebene dargestellt, was überhaupt nicht stimmt. Ich und meine Familie sind als extrem privilegierte jüdische Kontingentflüchtlinge aus Aserbaidschan nach Deutschland gekommen. Wegen der Kontakte meines Vaters konnten wir durch den Diplomateneingang ins Flugzeug steigen. Was hat das mit denen zu tun, die heute versuchen müssen, illegal übers Mittelmeer zu kommen?

Gerade weil sich ihre Identitäten so selbstverständlich aus verschiedenen kulturellen Hintergründen zusammensetzen, wurden Ihre Figuren als neuer Typus der deutschsprachigen Literatur bezeichnet. Auch in Bezug auf ihre sexuelle Orientierung und ihr Geschlecht wollen sich Ihre Protagonistinnen nicht fixieren lassen. Was fasziniert Sie an solchen Figuren?

Ich glaube, es gibt kaum jemanden, der sich erschöpfend festlegen lässt über seine Herkunft oder Sexualität. Identität hat für mich viel mehr mit dem Werdegang einer Person zu tun, etwa der Ausbildung. Trotzdem wird, indem diese Kategorien immer wieder aufgemacht werden, eine Normalität vorgegaukelt, die überhaupt nicht existiert. Wenn es einem gelingen würde, das aufzubrechen, wäre den Menschen viel geholfen.