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Archiv-Artikel

Kleb dir dein Fahrrad zusammen

BAMBUS In Asien alltäglich, hierzulande noch ungewöhnlich. Zumindest als Material für Fahrradrahmen. Experten zeigen in Workshops, wie man die Rohre zusammenfügt

Der Vorteil von Bambus ist, dass es keine Nachteile hat: Die Rohre sind leicht, können nicht rosten und erreichen maximale Festigkeit

VON JÖRN KABISCH

Stefan Brüning ist ehrlich: Viele Bambusräder hat er noch nicht verkauft. „Wenn die Leute davon hören, dann wollen die meisten sich sofort selbst eins bauen“, sagt der Student für Produktdesign. Kein Problem. An fast jedem Wochenende wird aus Ozon, der Rad-Manufaktur in den BLO-Ateliers in Berlin-Lichtenberg eine offene Werkstatt. Dann werden individuelle Fahrräder gefertigt, bei denen die Geometrie auf den eigenen Körper und den Fahrstil abgestimmt ist. Hört man Brüning weiter zu, kann man sich kaum ein idealeres Gefährt für die umweltbewusste DIY-Generation dieser Tage vorstellen.

Brüning blickt auf die meterlangen Rohre, die unter der Decke der etwa 20 Quadratmeter großen Werkstatt hängen. „Aus einem Rohr entsteht ein ganzes Fahrrad.“ Der 30-Jährige gehört mit seinem Partner Daniel Vogel-Essex zu den Pionieren der überschaubaren, aber wachsenden Bambusrad-Gemeinde Deutschlands. 2009 haben sie ihr erstes Rad zusammengeklebt. Aber trotz aller Routine: „Auch wir sammeln mit jedem neuen Rahmen, der bei uns entsteht, noch Erfahrungen, die wir gerne weitergeben.“

Wie kann aus einer Stange vom Gartencenter ein schnittiges Zweirad werden? Bambus, eigentlich verholztes Riesengras, ist in Asien ein üblicher Baustoff. Für Möbel, aber auch für Gerüste, die sich auf Großbaustellen in Jakarta, Hongkong oder Kalkutta in schwindelerregende Höhen dem Himmel entgegenstrecken. Schon Ende des 19. Jahrhunderts wurden die Rohre in Europa für den Fahrradbau entdeckt. Allerdings waren die Rahmenverbindungen nicht ausgereift, deshalb machten Stahl, Aluminium und später Carbon das Rennen. Erst hundert Jahre später wurde Bambus wiederentdeckt, von dem US-amerikanischen Rad-Designer Craig Calfee.

„Der Vorteil von Bambus ist, dass es keine Nachteile hat“, sagt Brüning selbstbewusst. Die Rohre sind leicht, sie können nicht rosten und erreichen wegen ihrer besonderen Faserstruktur maximale Festigkeit gegen Verbiegen, Schlagen oder Bruch. Diese Zähigkeit, sagt Brüning, wirkt gleichzeitig vibrationsdämpfend. Der Stoßdämpfer ist sozusagen mit eingebaut. Damit Bambus nicht schimmelt, wird er lackiert. Als nachwachsender Rohstoff ist er auch aus Nachhaltigkeitsaspekten Stahl oder Alu überlegen. In der Ökobilanz, sagt Stefan Brüning, wiege aber die Langlebigkeit höher. Denn ein Rad, das sich jemand selbst gebaut hat, meint er, wird auch länger gefahren.

Die Schwierigkeit beim Bau eines Bambusrahmens sind die Verbindungsstellen. Statt Metall wie noch im 19. Jahrhundert werden heute Faserverbundwerkstoffe verwendet: Ein Material, das auch im Bootsbau und in der Prothesenherstellung vorkommt. Faserverbundwerkstoffe bestehen immer aus zwei Komponenten: den Fasern und eine sie bettende Matrix. Dazu gehört auch Pappmaché, angerührt aus Papier und Kleister.

Drei Jahre haben Brüning und Vogel-Essex getestet und experimentiert, bis sie mit ihrem Mix zufrieden waren. „Wir verwenden heute Flachsmatten, die in mehreren Schichten um die Verbindungsstellen gelegt und anschließend mit Epoxidharz getränkt werden“, erzählt Brüning. „Heraus kommt eine Festigkeit, die Bambus sehr ähnlich ist.“ Die ersten Räder, die mit dieser Technik gefertigt wurden, haben sie Fahrradkurieren zum Testen gegeben.

Eines davon, dass schon Tausende Kilometer hinter sich hat, steht gerade zufällig wieder in der Werkstatt. „Weil die Bremse fehlt“, sagt der Fahrradbauer, „die Polizei ist da streng.“ Der Rahmen aber sei so robust wie zu Anfang. Auf die Stabilität der Rahmen legen Brüning und Vogel-Essex auch bei ihren Workshops besonders viel Wert. 800 Euro kostet ein achttägiger Kurs, der Preis beinhaltet auch die Materialkosten, wobei das Bambusrohr am wenigsten ins Gewicht fällt. Ein einfaches Singlespeed-Rad lässt sich bei etwas handwerklichem Geschick auch schon im dreitägigen Schnellbaukurs zusammensetzen, verspricht das Ozon-Duo. Ihre Werkstatt hat sich inzwischen an vielen Wochenenden zu einem Treffpunkt für Bambusradler entwickelt. Nicht nur Selbstbauer sind dann vor Ort, sondern auch Interessierte und Liebhaber, die sich austauschen und Neues sehen wollen. Jedes Bambusrad ist schließlich ein Unikat.

■ Ozon Cyclery, BLO-Ateliers, Kaskelstr. 55, 10317 Berlin, www.ozoncyclery.com

■ Nächster Bamboo Bike Meet und Tag der offenen Tür: 18. Juli