: „Das Volk wird ausgesperrt“
DEMOKRATIE Beschädigen oder stärken Referenden die Volksgesetzgebung? Ein Streitgespräch zwischen Manfred Brandt von Mehr Demokratie und Farid Müller (Grüne)
■ 70, ist Agrarwissenschaftler und Gründungsmitglied des 1997 gebildeten Hamburger Landesverbands von Mehr Demokratie.
MODERATION MARCO CARINI
taz: Herr Brandt, mit dem vorige Woche per Verfassungsänderung beschlossenen Referendum wird ein weiteres Element direkter Demokratie in Hamburgs Verfassung etabliert. Was gibt es dagegen einzuwenden?
Manfred Brandt: Volksabstimmungen von oben werden von Regierungen oft missbraucht – deshalb ist das konkrete Verfahren sehr wichtig. Bürger müssen die Möglichkeit haben, einen Gegenvorschlag mit zur Abstimmung zu stellen. Nun werden sie aber durch Beteiligungshürden – die die Verfassungsänderung aufbaut – faktisch aus dem Verfahren ausgesperrt.
Wie werden Volksinitiativen ausgebremst?
Brandt: Den Volksinitiativen wird aufgebürdet, in zu kurzer Zeit zu viele Unterschriften zu sammeln um sich mit eigenen Fragestellungen an dem Referendum zu beteiligen. Das ist faktisch nicht zu leisten.
Herr Müller, beteiligen sich die Grünen da gerade am Abbau direktdemokratischer Möglichkeiten durch die Hintertür?
Farid Müller: Wir sind der Auffassung, dass wir eine faire Regelung gefunden haben. Sechs Monate vor einem Referendum müssen Senat und Bürgerschaft dieses ankündigen und dann hat eine Volksinitiative wie bislang auch ein halbes Jahr Zeit, 10.000 Stimmen zu sammeln, wenn sie eine eigene Fragestellung einbringen möchte. Für die gesamte Kampagne zu einem Volksbegehren hat eine Initiative insgesamt acht Monate Zeit. Außerdem soll so ein Referendum die Ausnahme bleiben und nur bei ganz wenigen Themen gesamtstädtischer Bedeutung stattfinden. Schon von daher sehe ich keine Bedrohung der Volksgesetzgebung.
Brandt: Bislang gab es Volksinitiativen auch nur zu Fragen von gesamtstädtischer Bedeutung. Sechs Monate vor einem Referendum müsste die genaue Zielsetzung eines Referendums feststehen, damit sich Initiativen darauf einstellen können. Das Gesetz schreibt aber nur vor, dass das allgemeine Thema – etwa Energienetze – zu diesem Zeitpunkt benannt werden muss, nicht aber etwa, ob das Referendum darauf abzielt, sie zu privatisieren oder zu verkaufen.
Müller: Das geht doch an der politischen Realität vorbei. Senat und Bürgerschaft beschließen doch nicht „Wir machen mal ein Referendum zum Thema Energie, aber wozu genau, das wissen wir noch nicht“. Das ist absurd.
Brandt: Von wegen. Bei der jetzigen Diskussion, dachte ich noch vor wenigen Wochen, debattieren wir nur ein einmaliges Olympia-Referendum, bis plötzlich klar wurde: Es geht um eine generelle Regelung und die Veränderung politischer Entscheidungsverfahren. So schnell können sich Fragestellungen ändern. Senat und Bürgerschaft sind beim Referendum Partei, sollen aber gleichzeitig eine wertungsfreie Fragestellung entwickeln, die ihre eigene Haltung, aber auch die der Gegenposition neutral darstellt: Das ist absurd!
Müller: Wenn Senat und Bürgerschaft beschließen, das Volk zu befragen, dann müssen sie auch bestimmen dürfen, wie die Fragestellung lautet. Daran ist nichts Schlimmes. Wir sind gesetzlich verpflichtet, die Frage sachlich zu stellen und ich traue den Bürgern zu, dass sie alles andere sofort durchschauen.
Brandt: Es hat schon die irreführendsten Fragestellungen bei Volksbegehren gegeben. Eine neutrale Fragestellungen muss eine neutrale Instanz festlegen.
Die Opposition spricht von Schweinsgalopp: Warum will die Bürgerschaft nicht das Referendum als Einzelfall mit einer „Lex Olympia“ regeln und dann in aller Ruhe eine Verfassungsänderung entwickeln?
■ 53, langjähriger Grünen-Bürgerschaftsabgeordneter, ist Sprecher seiner Fraktion für Verfassung, Medien- und Netzpolitik.
Müller: Wir Grüne wollten von Anfang an keine „Lex Olympia“, sondern ein zusätzliches Beteiligungsinstrument neu einführen. Es ist nicht logisch zu sagen: „Bei Olympia wird das Volk ausnahmsweise mal befragt, bei anderen Fragen beteiligen wir euch aber nicht.“ Nun gibt es die Sorge, dass man die Regelung hinterher nicht mehr verbessern kann, wenn sie sich in einigen Bereichen als nicht praxistauglich erweist. Wir werden selbstverständlich das erste Referendum auch mit Mehr Demokratie gemeinsam auswerten und schauen, ob wir da noch nachbessern müssen. Da ist nichts in Stein gemeißelt. Auch bei der Volksgesetzgebung haben wir mehrfach die Verfassung geändert und nachgebessert. Warum nun diese Angst, dass wir als Parlament nicht aus Fehlern lernen?
Brandt: Die Verfassung so schnell zu ändern, war nicht seriös. Da ist bei uns der Eindruck entstanden, im Windschatten von Olympia wird etwas durchgeboxt, was die Volksinitiativen beeinträchtigen soll und Gegenvorlagen im Keim erstickt: Denn bei allen Volksentscheiden der vergangenen Jahre, ob nun Schulreform oder Energienetze, hat immer die Gegenvorlage aus der Bürgerschaft verloren.
Müller: Ich nehme mit Sorge ein großes Misstrauen gegenüber der Bürgerschaft wahr, obwohl wir auch in diesem Gesetzgebungsprozess wahnsinnig viel Kritik mit in das Verfahren aufgenommen haben. Es ist sehr vermessen, ständig zu unterstellen, die Bürgerschaft mit Zweidrittelmehrheit und der Senat hätten nichts anderes im Sinn, als sich gegen das Volk zu verschwören und direktdemokratische Elemente zu beschädigen.
Brandt: Wir haben keine Verschwörungstheorien, aber wir haben Erfahrungen. Der Volksentscheid zur Privatisierung des Landesbetriebs Krankenhäuser wurde übergangen, der zur Änderung des Wahlrechts von der CDU-Mehrheit kassiert und eine neue Wahlrechtsdebatte steht offenbar gerade vor der Tür. Da haben wir allen Grund, misstrauisch zu sein.
Müller: Die CDU ist für ihre Taten abgestraft worden. Wir haben mit SPD und Mehr Demokratie daraufhin Volksentscheide verbindlich in die Verfassung geschrieben. Deswegen haben wir heute eine andere Situation, die Bürgerschaft hat gelernt.