: WIR : HIER
30. Kapitel
Die Vorbereitungen für das Konzert liefen – das kann man nicht anders sagen – wie geschmiert. Beinahe jedes Telefonat war ein Treffer, neue Kontakte ergaben sich wie von selbst, Türen, die Goldstück noch nicht mal bemerkt hatte, öffneten sich vor ihnen; es war, als wären sie in einen Kessel mit Zaubertrank gefallen. Berlin ist eine ziemlich coole Stadt, wenn es drauf ankommt. Allein unter den Eltern vom LBG fanden sich Musiker, Kostümbildner, Schauspieler, Radiosprecher, Werbetexter, Autoren und Grafiker. Und bei Eltern gab es eigentlich nur zwei Typen: Entweder interessierten sie sich null für ihre Kinder oder sie waren furchtbar leicht um den Finger zu wickeln. Weil sie froh oder stolz oder dankbar waren, wenn sie um Rat gefragt wurden und sie es immer übertrieben gut fanden, wenn Teenager etwas auf die Beine stellten.
Innerhalb einer Woche hatten sie 100 A-2-Plakate, Vierfarbdruck. Das Konzert wurde auf allen wichtigen Plattformen massenhaft geteilt. In der Schule gründete sich eine Organisationsgruppe, natürlich unter dem Vorsitz von Mara. Für die Anlage, das Licht und Ton sorgten Eltern, Ladenbesitzer aus der Umgebung spendierten Getränke und Fingerfood, die sie beim Konzert verkaufen könnten.
Die BVG war einverstanden und erklärte sich bereit, die Stromkosten zu übernehmen und die Security für den Abend zu stellen. In ihrem Werbebudget war noch Geld, und nachdem Laura ihnen ein schnell, aber überzeugend geschriebenes Konzept vorgelegt hatte, meinten sie, Unterstützung für eine junge, engagierte Band würde genau zu ihrem Image passen. Dass sie im Gegenzug das BVG-Logo auf den Plakaten sehen wollten – geschenkt! Laura schlug außerdem vor, den Verein „Unterwelten“, der sich für die Erkundung der Berliner Tunnel und Bunkeranlagen einsetzte, mit ins Boot zu holen. Damit stand ein Partner an ihrer Seite, der ihnen bei den Verhandlungen mit dem Senat half. Vier verschiedene Senatsbehörden hatten ihr Okay gegeben, doch auf einmal sah es trotzdem so aus, als ob das Konzert nicht stattfinden würde. Die Bauaufsicht monierte einen fehlenden Notausgang. Ohne Notausgang kein Konzert.
Krisensitzung im Büro des Mietervereins. Ein Teil von Cems Verwandten, die coolen Lehrer aus der Schule, die Schülervertretung, die Integrationsbeauftragte von Schöneberg und Helfer aus der Orga-Gruppe saßen an dem großen Tisch unter der Neonbeleuchtung. Die zuständige Frau von der Bauaufsicht war bereit, noch mal darzulegen, was das Problem sei.
„Mir sind leider die Hände gebunden. Stellen Sie sich nur einmal vor, im U-Bahnhof bricht eine Panik aus, die Anlage fängt Feuer oder etwas Ähnliches. Wir sind nicht befugt, Sondergenehmigungen zu erteilen. So sehr ich Ihr Projekt persönlich auch unterstützen mag, und ich finde die Idee großartig, junge Leute wie Sie braucht die Stadt, aber Vorschriften sind nun mal aus gutem Grund da und gelten auch für Sie. Es geht nicht.“ Bla-Bla-Bla.
Szusza stiegen Tränen in die Augen, so wütend fühlte sie sich.
„Es ist doch immer das Gleiche. Kaum will man mal etwas machen, mischen sich Leute ein und wollen es verhindern. Und da wundern Sie sich, wenn Jugendliche auf dem Alex Touristen verprügeln. Wenn alles verboten wird! Fuck!“
„Nun, das möchte ich nicht so stehen lassen. Es gibt sehr viele Möglichkeiten, als Jugendlicher in Berlin etwas anderes zu tun, als straffällig zu werden.“
„Dann stimmen Sie doch einfach zu. Es muss niemand von der fehlenden Tür erfahren. Sie haben doch so etwas wie einen Ermessensspielraum.“
„In diesem Fall leider nicht.“
„Dass der Vater von Cem im Knast sitzt, interessiert Sie nämlich überhaupt nicht.“
„Doch natürlich. Aber das eine hat mit dem anderen nichts zu tun.“
„Das sind nur Ausreden.“
„Mein liebes Fräulein, es reicht. Das sind keine Ausreden, das sind Gesetze. Möchtest du verantwortlich sein, wenn bei dem Konzert unten etwas passiert? Ich nicht.“
Szusza wollte etwas entgegnen, aber Matteo war aufgesprungen, zog an ihrem Jackenärmel und zerrte sie nach draußen vor die Tür.
„Sag mal, spinnst du Szusza? Was soll das die Frau so anzumachen? Meinst du, das bringt uns irgendwie weiter?“
„Das ist voll die blöde Kuh.“
„Na und? Check mal, dass deine Motzerei nicht immer was bringt. Was machst du als Nächstes? Haust du ihr eine rein? Du versaust uns gerade alles, merkst du das nicht?“
„Ja, ist ja gut. Schrei mich nicht an. Halt ich eben meine Fresse.“ Sie warf ihm einen bitterbösen Blick zu.
„Genau. Und vorher entschuldigst du dich bei ihr.“
„Never.“
„Doch.“ Er schubste sie zurück in den Versammlungsraum, Szusza setzte sich und sagte: „Ich hab es nicht so gemeint, sorry.“
„Du hast jedenfalls Temperament. Mir gefällt auch nicht alles, was ich entscheiden muss. Aber so ist das Leben. Schwamm drüber.“
Sie redeten sich weiter die Köpfe heiß, aber es war ausweglos, die Argumente drehten sich im Kreis. Jörg, der dicke lustige Mann von dem Unterwelten-Verein, sah die Goldstücke lange nachdenklich an, bis er sagte: „Ich muss mal kurz telefonieren, bin gleich zurück.“
Es wurde kein kurzes Telefonat, die anderen unterhielten sich leise, die Frau von der Bauverwaltung sah ungeduldig auf die Armbanduhr, packte dann ihre Aktentasche und nahm den Mantel vom Stuhl. „Entschuldigen Sie, ich habe auch mal Feierabend und hier ist alles gesagt.“
„Moment.“ Jörg war zurück. „Tut mir leid, dass es länger gedauert hat, ich musste mich erst mit meinen Kollegen besprechen. Ich denke, wir haben einen Ausweg gefunden.“
■ Sarah Schmidt publizierte bereits diverse Bücher und ist in zahlreichen Anthologien vertreten. Ihr aktueller Roman „Eine Tonne für Frau Scholz“ ist im Verbrecher Verlag erschienen und in der Hotlist der 10 besten Bücher aus unabhängigen Verlagen 2014. Für die taz schreibt sie den Fortsetzungsroman WIR:HIER www.sarah-schmidt.de