: Viel Wind um den Bibel-Reiniger
ZOFF Der Berliner Theologe Notger Slenczka stellt die Bedeutung das Alten Testaments für das Christentum infrage und sähe es am liebsten aus dem Kanon entfernt. Er erntet mit seinen Thesen einen Sturm der Entrüstung – auch weil es während der NS-Zeit schon einmal Versuche gab, die Bibel von allem Jüdischen zu befreien
■ Altes Testament: Die christliche Theologie bezeichnet die Texte, die im 1. Jahrhundert nach Christus von jüdischen Gesetzeslehrern als hebräische heilige Schriften definieret wurden als Altes Testament.
■ Neues Testament: In den 27 Schriften des Neuen Testaments wird entfaltet, welche Bedutung Jesus für den einzelnen Menschen und für das Heil der Welt hat. Die ältesten Teile des Neuen Testaments sind die Briefe des Apostels Paulus. Die Schriften, die vom Leben Jesu berichten, entsanden später und haben schriftliche und mündliche Überlieferungen zur Grundlage.
■ Apokryphen: Das griechische Adjektiv apókryphos bedeutet verborgen. Apokryphen sind demnach die von der öffentlichen Verbreitung ausgeschlossenen Bücher: Es handelt sich um die Schriften, die zum griechischen und lateinischen Alten Testament gehören, jedoch nicht in der Hebräischen Bibel enthalten sind. In den Bibelausgaben der reformatorischen Kirchen werden sie – wenn überhaupt – nur als Anhang wiedergegeben.
VON PHILIPP GESSLER
Christoph Markschies lacht gerne. In seinen eigenen, häufigen Witzen findet er fast immer einen Grund dazu. Der Universitätsprofessor ist ein wichtiger Mann in der evangelischen Theologie, er ist Kirchenhistoriker an der Humboldt-Universität in Berlin und Vorsitzender der Kammer für Theologie der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Man kann sagen: Er ist so etwas wie der akademische Chef-Theologe der protestantischen Volkskirche mit ihren rund 24 Millionen Mitgliedern. Insofern hat es Gewicht, wenn er einen seiner evangelischen Fakultätskollegen, den Berliner Theologen Notger Slenczka, ganz unbrüderlich öffentlich in den Senkel stellt – und gar die Diskussion einer seiner wichtigsten Thesen schlicht verweigert. Denn, so Markschies mit fast schon erloschenem Humor: Man diskutiere an der Universität ja auch nicht die Frage, ob die Erde vielleicht doch eine flache Scheibe sei.
Über Theologie wird selten öffentlich gestritten in Deutschland, und das mag man als einen Fortschritt sehen – aber dieser Streit zwischen Professor Slenczka auf der einen Seite und fast allen anderen Wissenschaftlern seiner Zunft auf der anderen hat es in sich. Denn Slenczka, ein freundlicher Mittfünfziger mit Traumschwiegersohn-Touch, hat eine wissenschaftliche Lawine losgetreten, die ihn schon halbwegs unter sich begraben hat. Es geht um die schlichte Frage: Welche Bedeutung hat eigentlich das Alte Testament, also die Schriften des alten Israel, für das heutige Christentum?
Slenczkas These: Das Alte Testament sollte eigentlich für Christenmenschen keinen kanonischen Rang haben, es sei eher den Apokryphen zuzurechnen – oder im Nicht-Theologen-Deutsch etwas vereinfacht gesagt: Christinnen und Christen bräuchten das Alte Testament nicht als Teil ihrer Heiligen Schrift zu betrachten. Heilsnotwendig seien diese alten jüdischen Schriften, darunter die fünf Bücher Mose, nicht – oder, wie Martin Luther generell über apokryphe Texte außerhalb der christlichen Bibel einmal urteilte: zwar „nützlich und gut zu lesen“, aber nichts Wesentliches für das Christentum
Man muss nur einmal eine evangelische Lutherbibel oder die katholische Einheitsübersetzung der Bibel in die Hand nehmen, um zu verstehen, was Slenczkas Thesen im Kern bedeuten: Man könnte etwa zwei Drittel der Bibel herausreißen und hätte nichts Wesentliches für den christlichen Glauben verloren. Die Bücher Genesis, Exodus, Hiob, die Propheten, die Psalmen, das Hohelied – alles raus damit. „Nice to have“, könnte man sagen, aber am Ende zu vernachlässigen.
Akademischer Gegenwind
Wenn sich Slenczkas Thesen durchsetzen würden, hätte man tatsächlich ein anderes Christentum. Und so ist es kein Wunder, dass sich geradezu ein Sturm des Protests gegen seine Thesen aufgebauscht hat – wenn das Wort „Sturm“ in den würdigen akademischen Kreisen christlicher Theologen nicht etwas zu stark wäre. Fünf Kollegen seiner eigenen Fakultät, darunter Markschies, nannten Slenczkas Bibel-Reinigungs-Initiative „historisch nicht zutreffend und theologisch inakzeptabel“.
Selbst vorsichtige Kollegen Slenczkas, die eine sachliche Diskussion einfordern, sind entsetzt. So schreibt etwa der Wiener Professor für Systematische Theologie, Ulrich Körtner: „Für falsch halte ich Slenczkas These, das Alte Testament spreche von einem anderen Gott als das Neue Testament. Sie hätte für den christlichen Glauben fatale Konsequenzen.“ Und der große Ägyptologe Jan Assmann, der mit seiner Monotheismus-und-Gewalt-These weltweit Resonanz fand und gerade ein großartiges Buch über den Exodus geschrieben hat, warnt mit Blick auf Slenczka: „Mit dem Verlust des Alten Testaments verlieren die Christen nahezu alles“, so Assmann in der Zeit-Beilage Christ und Welt. Ohne das Alte Testament sei das Neue Testament nicht zu verstehen, das Alte werde ja ständig zitiert. „Für mein Verständnis steht das Neue Testament auf den Schultern des Alten Testaments, und ich würde mich hüten, die Basis zu schwächen, die mich trägt.“
Die These Slenczkas ist zudem deshalb so brisant, ja giftig, weil sie gerade in Deutschland in einem braunen Sumpf wunderbar aufblühen kann. Es gab in der NS-Zeit hierzulande Theologen, die ernsthaft versuchten, die christliche Bibel von jüdischen Einflüssen zu säubern, ja Jesus als einen irgendwie Nichtjuden zu interpretieren. Es war ein absurdes Unterfangen, das natürlich gescheitert ist, aber einen langen historischen Vorlauf hatte – den christlichen Antijudaismus. Den tief verwurzelten Judenhass der Christen, fast zweitausend Jahre lang gepflegt, versuchten die evangelische und die katholische Kirche erst nach dem Holocaust ernsthaft zu bekämpfen. Mit einigem Erfolg gelang das, aber ab und zu ist der Schoß eben fruchtbar noch. Erinnert sei etwa an den Holocaust-Leugner Richard Williamson, den der frühere Papst Benedikt XVI. so gern wieder in der katholischen Kirche haben wollte, ehe ruchbar wurde, was für ein ekelhafter Judenfeind er ist.
Slenczkas Thesen kommen viel feiner daher – und ernsthaft würde ihm niemand vorwerfen, ein Antisemit zu sein. Aber natürlich muss man sich fragen, was das über das Judentum sagt, wenn man dessen Heilige Schrift als am Ende irrelevant für die Christen darstellt. Außerdem hat das Großreinemachen Slenczkas unselige Vorbilder. Schon im 2. Jahrhundert nach Christus wollte der Theologe Markion am liebsten die Schriften der Hebräischen Bibel aus der christlichen Heiligen Schrift verbannen – ja selbst in den christlichen Texten empfahl er das Streichen irgendwie „jüdischer“ Stellen. Bezeichnend ist, dass schon die Theologen und Kirchenführer vor rund 1.800 Jahren offenbar weitsichtiger und offener waren als Slenczka heute – und die alten jüdischen Bücher als heilsnotwendig und als ihr eigenes Erbe betrachteten.
Der jüdische Intellektuelle und taz-Kolumnist Micha Brumlik sieht in Slenczkas These „natürlich auch eine Aussage gegen das Judentum“. Es gebe Parallelen zu den christlichen NS-Theologen, die versuchten hatten, die jüdische Seite des Christentums zu tilgen. Erst in den vergangenen Jahrzehnten hat die christliche Theologie die jüdische Identität Jesu ernsthaft wiederentdeckt – die christlich-jüdische Annäherung wird durch Slenczkas These belastet. Auch deshalb erklärte der Berliner Landesbischof Markus Dröge vor seiner Synode, Slenczkas Thesen widersprächen dem Bekenntnis der evangelischen Kirche. Man dürfe das Alte Testament nicht abwerten, warnte der badische Landesbischof Jochen Cornelius-Bundschuh: „Wir haben da eine besondere Verantwortung. Der Antijudaismus hat den Antisemitismus befördert.“
Und was macht Slenczka angesichts der fast einhelligen Kritik? Erklärt weiter, das Alte Testament könne „nicht in demselben Sinne normativ sein wie die Schriften des Neuen Testaments“. Es muss eben sehr viel Wasser die Spree hinunter fließen, ehe ein deutscher Professor einen Fehler einräumt. Manche schaffen das nie.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen