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Archiv-Artikel

Das Streik-Trauma

KITA-STREIK Die psychische Entwicklung ihrer Kinder leide durch den ErzieherInnen-Streik, sagen ElternvertreterInnen der Betty-Gleim-Haus-Kita

„Man sollte die Resilienzfähigkeit von Kindern nicht unterschätzen“

Nicole Kistner, Leiterin der Kita im Betty-Gleim-Haus

BremerInnen fürchten um die psychische Gesundheit ihrer Kinder: Durch den Kita-Streik würden ihre Strukturen wegbrechen, was zu Ängsten und Verhaltensauffälligkeiten führe, sagen Eltern, deren Kinder die Kita Betty-Gleim-Haus besuchen. Sie fordern eine Streikpause der ErzieherInnen, die jetzt bereits seit über drei Wochen für mehr Gehalt kämpfen, oder doch zumindest ein anderes „Streikmodell“.

Seit sie nicht mehr in die Kita gehe, falle ihre fünfjährige Tochter in Verhaltensmuster einer Zweijährigen zurück, berichtet Dorothee Weihe. Das Mädchen weiche nicht von ihrer Seite und träume nachts schlecht. Der Bremer Psychotherapeut Christoph Schweigstill bestätigt, dass die geschlossenen Kitas zu „tiefen Verunsicherungen bei den Kindern führen. Alte Verhaltensmuster wie das Klammern an die Eltern sind Ausdruck ihrer Suche nach Bindungssicherheit.“

Schweigstills drei und sechs Jahre alten Kinder gehen ebenfalls in die Betty-Gleim-Haus-Kita. „Da fällt jetzt beispielsweise das Übernachten oder die Waldwoche aus – das ist für die Kinder ähnlich schlimm, als würde Weihnachten ausfallen“, sagt er. Die Entwicklung von Persönlichkeit und Selbstsicherheit werde stark angegriffen, da helfe auch keine Notbetreuung: „Morgen kommen meine Kinder dorthin – ich fürchte, das müssen wir dann wieder auffangen.“

Richard Günther, Elternsprecher des Betty-Gleim-Hauses, sagt: „Den Kindern geht es schlecht und der Streik hilft nicht – er spart den Kommunen sogar Geld. Da muss man schon die Frage stellen, ob es überhaupt einen Streik braucht.“ Dabei sagen alle drei, dass sie die Forderungen der ErzieherInnen teilten. „Aber der Streik wird auf dem Rücken der Kinder ausgetragen“, sagt Schweigstill, der den Ausstand als „Katastrophe“ bezeichnet: „Meine Frau und ich sind beide selbständig, die Kinderbetreuung ist da unglaublich schwer zu organisieren.“ Die Kita, sagt Weihe, bekomme durch den Streik überdies einen negativen Anstrich für die Kinder, weil sie nun nicht mehr für Vertrauen stünde. Kitas und Gewerkschaften sollten über eine Streikpause nachdenken. „Oder zumindest über ein Modell, bei dem alle vierzehn Tage eine andere Kita-Gruppe bestreikt wird“, sagt Schweigstill. Als Vorbild könne Hamburg dienen, wo seit letzter Woche ein „Tandem-Modell“ beschlossen wurde, nach dem je zwei benachbarte Kitas einen Notdienst bilden sollen.

Nicole Kistner, Leiterin der Betty-Gleim-Haus-Kita, gibt den Eltern in Teilen Recht. Auch sie fände ein anderes Streik-Modell gut, „aber die Kita Bremen ist mit diesem Vorschlag nicht zur Streikleitung gegangen – sie scheint also keine Notwendigkeit zu sehen, beispielsweise mehr Notdienste einzurichten“. Darüber hinaus sei die Rückkehr in die Kita für ein Kind oft recht einfach: „Man sollte die Resilienzfähigkeit von Kindern nicht unterschätzen.“  SIMONE SCHNASE