„Viele Menschen wollen einfach nur gehört werden“

VOLKSBEGEHREN Grünen-Fraktionschefin Antje Kapek hält dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) und seinem Fraktionschef Raed Saleh vor, die Bürger mit ihren Problemen nicht ernst zu nehmen. Dass die BerlinerInnen der Politik gegenüber immer misstrauischer würden und sich Volksbegehren in letzter Zeit häufen, sei deshalb nicht verwunderlich

■ 38, seit 2011 Mitglied des Abgeordnetenhauses, dort seit 2012 mit Ramona Pop Vorsitzende der Grünen-Fraktion und zugleich stadtentwicklungspolitische Sprecherin. Zuvor war Kapek mehrere Jahre Grünen-Fraktionschefin im Bezirksparlament Friedrichshain-Kreuzberg, wo Stadtentwicklung ebenfalls ein Schwerpunkt ihrer Arbeit war. (sta)

VON STEFAN ALBERTI

taz: Frau Kapek, „Michael Müller warnt das Volk“, titelte kürzlich die Berliner Zeitung. Sinngemäß sieht er eine Instrumentalisierung von Volksbegehren durch kleine, aber gut vernetzte Gruppen. Hat er recht, stoßen direkte Demokratie und Bürgerbeteiligung an ihre Grenzen?

Antje Kapek: Es gibt ja nicht das Volk, sondern eine Bevölkerung, die aus vielen Menschen mit ganz unterschiedlichen Wünschen besteht …

aber Politiker, auch Sie, sprechen im Parlament schon sehr gern allgemein von „den Berlinern“.

Das liegt an der begrenzten Redezeit, die wir dort haben (lacht). Aber ernsthaft: Als eine von 149 Abgeordneten kann ich gar nicht genau wissen, was jeder einzelne Bürger vor Ort wünscht, der von einer Neuplanung betroffen ist. Tatsächlich wünschen sich aber viele Menschen die Chance, gehört zu werden. Und darum sollte die Politik, sollte der Senat vor allem zuhören. So machen das auch erfolgreiche Unternehmen: Die fragen zuerst ihre Kunden, bevor sie etwas auf den Markt bringen – nicht weil sie die so nett finden, sondern weil sie sich davon ein besseres Ergebnis versprechen.

Und Sie meinen, Müller und seine rot-schwarze Koalition hätten auf Durchzug gestaltet?

In Berlin starten inzwischen im gefühlten Wochentakt Bürger- oder Volksbegehren, aktuell gegen den Unterrichtsausfall. Das ist doch ein klares Zeichen dafür, dass der Senat eben nicht die Nöte und Sorgen der BerlinerInnen und Berliner hört, geschweige denn die großen Probleme von alleine erkennt. Und deshalb sollte Michael Müller das Volk nicht vor einem Engagement warnen, sondern sich fragen, wie er besser zuhören kann.

In der Morgenpost fordert ein gar nicht mal konservativer Kollege, die Leute sollten nicht jedes Begehren unterschreiben, bloß um einer diffusen Unzufriedenheit mit Senat und Koalition Luft zu machen. Ist es aus Ihrer Sicht legitim, ein Volksbegehren zu nutzen, um die Regierung unabhängig vom konkreten Anlass abzuwatschen?

Nein, das ist nicht der Sinn eines Volksbegehrens. Es ärgert mich aber, dass Politiker immer wieder den Leuten unterstellen, sie wären doof und würden in lauter Unkenntnis Volksbegehren auf den Weg bringen. Schauen Sie sich doch nur mal an, welche Arbeit und Kenntnis zur Vorbereitung eines Volksbegehrens nötig sind. Das gilt beispielsweise für den Wassertisch, 100% Tempelhof oder jetzt die Mieten-Initiative.

Der Punkt sind weniger die Initiatoren als die, die allein aus Protest gegen den Senat stimmen – auch wenn ihnen beispielsweise völlig egal ist, ob das Tempelhofer Feld bebaut wird, Unterricht ausfällt oder die Mieten hoch sind.

Ich glaube, dass die meisten das nicht so machen. Beim Volksentscheid zum Tempelhofer Feld gab es aber zugegebenermaßen in der Endphase einen Punkt, an dem einen die Halsstarrigkeit des rot-schwarzen Senats ziemlich ärgerlich machte. Zudem hat die SPD vorher auch hart ausgeteilt.

In welcher Form?

SPD-Fraktionschef Raed Saleh hat seine letzte Parlamentsrede vor dem Volksentscheid damit begonnen, dass er alle Menschen, die bei dem Volksbegehren unterschrieben hatten, als egoistische Spaßbürger beschimpfte. Man kann ja anderer Meinung sein, aber Wählerinnen und Wähler zu beschimpfen, geht gar nicht! Das zeigt aber die Haltung, die viele bei der SPD haben: „Wir wurden von euch gewählt, jetzt lasst uns mal schön die Entscheidungen treffen.“

Da haben diese SPDler ja auch recht – so ist das nun mal in einer repräsentativen Demokratie.

Nun, diese gewählten Volksvertreter treffen aber offensichtlich so häufig Entscheidungen von so geringer Qualität, dass nicht nur die BerlinerInnen und Berliner, also jenes diffuse Volk, das Michael Müller meint warnen zu müssen, sondern auch viele Expertinnen und Experten sagen: Stopp!

Wie und wo sehen Sie denn bei immer mehr direkter Demokratie und Bürgerbeteiligung die Rolle des Parlaments?

Ich setze in erster Linie gar nicht auf mehr direkte Demokratie oder mehr Volksentscheide. Mit richtigen Beteiligungsverfahren wäre doch schon viel erreicht. Dazu müsste geklärt werden, wie viel Zeit nötig ist, was rechtlich möglich ist, wie viel Geld dafür zur Verfügung steht. Und ganz wichtig: Es dürfen keine falschen Erwartungen geweckt werden. Man muss genau sagen, in welcher Form die Ergebnisse in eine abschließende Entscheidung im Parlament einfließen.

Das ist ja genau die Frage bei der aktuellen Diskussion über die Zukunft des Rathausforums. Ohne Enttäuschung kann das doch gar nicht gehen: Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel geht davon aus, dass am Ende des Verfahrens zwei oder drei Vorschläge stehen, zwischen denen das Abgeordnetenhaus entscheiden wird. Zwei Drittel also werden sich in dem Beschluss nicht wiederfinden.

Die Gefahr besteht immer, dass dann einige sagen: Nichts von dem, was ich hier an Engagement und Zeit eingebracht habe, hat sich gelohnt.

Aber viel Zeit und Engagement stehen doch nicht automatisch für eine gute Idee, für eine, die wirklich vielen und nicht nur einigen etwas bringt. Und dann ist da eben das, was Müller oft so beschrieben hat: Die Leute würden erwarten, dass man ihre Kritikpunkte 1:1 übernimmt.

Der Anspruch von Beteiligung ist ja auch nicht, Individualinteressen umzusetzen, sondern diese als Expertise zu sammeln und daraus den größtmöglichen Nutzen für die Allgemeinheit zu ziehen. Was Müllers Kritik angeht: Er selbst wollte doch beim Tempelhofer Feld mit dem Kopf durch die Wand und hat an seinem Masterplan nicht einen Strich geändert. Dass er trotzdem von Beteiligung spricht, ist unfassbar.

Müller sieht es ja so, dass die, die sich engagieren, im Kern nur ihre eigenen Interessen verfolgen, sie aber als glücklich machend für alle verkaufen.

Jeder von uns hat eine persönliche Vorstellung von unserer Stadt. Wichtig ist ein Verfahren, in dem wir aus Partikularinteressen ein Allgemeininteresse entwickeln. Diese Verfahren gibt es, das machen uns viele andere Städte vor – Berlin hinkt da leider immer noch weit hinterher.

Was Sie nun Allgemeininteresse nennen, läuft beim Senat unter „von landesweiter Bedeutung“: Unter dieser Überschrift zieht er zunehmend Bauprojekte aus den Bezirken an sich und lässt Bürgerbegehren wie am Mauerpark ins Leere laufen.

Natürlich gibt es ein gesamtstädtisches Interesse, die Politik muss es bloß klarer formulieren und definieren. Aber den Menschen die Tür vor der Nase zuknallen, nur weil sie Kritik haben, das geht wirklich nicht.

Aber das ist doch in diesem Fall klar: Jedes Jahr gibt es 40.000 Berliner mehr, also müssen neue Wohnungen her.

Aber zur Quartiersentwicklung gehören doch nicht nur Wohnblöcke. Menschen fahren zur Arbeit, sie bringen ihre Kinder in Kitas und Schulen, sie brauchen Grünflächen und eine Bank, um sich mal entspannen zu können. All das gehört zu einem lebenswerten Viertel, all das muss mit bedacht werden – und das passiert zu selten. Wenn ich mich fachlich-inhaltlich damit auseinandersetze und Einwendungen mache, wird mir vom Senat gedroht: Wenn du auch nur eine Kleinigkeit an unseren Plänen änderst, bist du gegen Wohnungsbau.

Es gab ja das Beteuern, aus dem Ausgang des Tempelhof-Volksentscheids gelernt zu haben. Gleich danach sprach sich der SPD-Fraktionschef Saleh für mehr Bürgerbeteiligung aus …

… nur um dann kurz danach wieder zurückzurudern. Das waren letztlich leere Versprechen, um die Niederlage der rot-schwarzen Koalition zu kaschieren. Der Senat hat die Gelegenheit für eine Verfassungsänderung völlig ignoriert und wollte stattdessen seine Olympia-Bewerbung von einer unverbindlichen Bürgerbefragung absegnen lassen.

Ohne valide Zahlen dafür zu haben, nur aus dem Bauch heraus: Den meisten wäre doch nur wichtig gewesen, dass sie über Olympia abstimmen können und nicht, in welchem rechtlichen Rahmen das passiert.

Der Senat wollte die Abstimmung zur reinen Legitimation seiner Politik und nicht, weil ihm die Meinung des Volkes wirklich so wichtig ist. In dem Fall hätte der Senat allgemeine und verbindliche Regeln einführen müssen, die ein Regierungshandeln nach Gutsherrenart ausschließen. So hat die Koalition aber den Menschen das Gefühl vermittelt, sie nicht wirklich und dauerhaft beteiligen zu wollen. Die Bürgerinnen und Bürger merken sehr wohl, wenn sie nicht ernst genommen werden.

Und was heißt das?

Dass es dann nicht verwunderlich ist, wenn sie der Politik gegenüber immer misstrauischer werden. Dass das auf Dauer nicht gut gehen kann, müsste endlich auch mal den Herren Saleh und Müller klar werden.