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Archiv-Artikel

„Längst nicht alles erforscht“

RESTITUTION Ute Haug, Provenienzforscherin der ersten Stunde, sieht noch viel Handlungsbedarf

Von PS
Ute Haug

■ 48, ist seit Oktober 2000 Provenienzforscherin an der Hamburger Kunsthalle und leitet seit 2003 auch deren historisches Archiv.

taz: Frau Haug, ist die Herkunft von Kunstwerken, die vor 1945 entstanden und mit denen ab 1933 gehandelt wurde, nicht längst geklärt?

Ute Haug: Nein. Über die Geschichte vieler Werke wissen wir immer noch oft sehr wenig. Und wenn man von einem Werk nicht weiß, woher es kommt, ist es seiner Geschichte beraubt: Man weiß nicht, wo es ausgestellt war, wer es sah, kaufte, wie es wirkte. Das wollen wir aber von Kunstwerken in unserer Sammlung wissen – unabhängig davon, ob es um die Zeit der Nazi-Diktatur geht oder nicht.

Kunstwerke mit einer Provenienzlücke im „Dritten Reich“ sind aber der Schwerpunkt Ihrer Arbeit.

Natürlich soll ich in erster Linie ergründen, wo diese Werke zwischen 1933 und 1945 waren. Das gilt vor allem für Artefakte, die bis 1945 entstanden und nach 1933 gehandelt wurden. Aber auch für die Zeit davor und danach ist die Herkunft oft nur lückenhaft. Auch das erforsche ich. Provenienzforschung ist eine traditionelle kunsthistorische Methode.

Trotzdem war die Einrichtung Ihrer Stelle 2000 etwas Neuartiges.

Ja – auch deshalb, weil sie 2005 als erste in einem deutschen Museum entfristet wurde. Inzwischen gibt es in Deutschland ungefähr zehn KollegInnen mit unbefristeten Stellen.

Warum wurde Ihre Provenienzstelle hier in Hamburg so früh eingerichtet?

Weil es für den damaligen Kunsthallendirektor Uwe M. Schneede wichtig war, keine Werke auszustellen, die in der Nazizeit Bürgern mit jüdischem Glauben abgepresst, enteignet und unrechtmäßig abgenommen wurden.

Gab es große Rückgabefälle?

Wir haben den Erben zum Beispiel das Selbstbildnis des flämischen Barockmalers Cornelis Bega gemeldet, das früher dem Kunsthändler Goudstikker gehört hatte. Er starb 1940 auf der Flucht vor den Deutschen. Dieses Bild haben wir restituiert.

Haben Sie auch schon Rückgabeforderungen abgewiesen?

Ja. Max Liebermanns Porträt Ferdinand Sauerbruchs haben wir nicht restituiert, weil der Anspruch von Verwandten kam, die nicht erbberechtigt waren. Das Bild hatte bei den rechtmäßigen Eigentümern den Zweiten Weltkrieg in Belgien überstanden. 1951 hatte die Kunsthalle es regulär von ihnen gekauft. INTERVIEW: PS

Vortrag „Die Hamburger Kunsthalle: Von Beginn an dabei“ in der Reihe „Eine Frage der Herkunft“: 16 Uhr, Uni-Hauptgebäude, Edmund-Siemers-Allee 1, Hörsaal M