: Die Opfer des Glaubens
GLAUBEN Abrahams Prüfung: Der britische Regisseur Peter Greenaway und die Videokünstlerin Saskia Boddeke thematisieren im Jüdischen Museum die Rolle des „Gehorsams“ in der Bibel und in der Geschichte
VON POLONA BALANTIC
Kaum kommt man in die Ausstellung „Gehorsam“ im Jüdischen Museum, begegnet man Dutzenden von jungen Menschen in Videoprojektionen. Einige sagen „Ich bin Isaak“, andere „Ich bin Ismael“. Von Kindern und Jugendlichen aus der ganzen Welt haben der britische Filmregisseur Peter Greenaway und die Videokünstlerin Saskia Boddeke diese Videos gesammelt für ihre Installation „Gehorsam“, die im Jüdischen Museum gezeigt wird.
Ein Videoprotagonist erinnert sich an eine andere politische Aussage: „Ich bin Charlie (Hebdo)“. Greenaway kommentierte bei der Eröffnung der Ausstellung: „Es wird immer, immer, immer solche Assoziationen geben. Die sind nicht falsch. Und wenn Sie sich die Abbildung von Isaaks Kopf auf der Titelseite des Katalogs ansehen, werden Sie sehr wahrscheinlich an die jüngsten Enthauptungen denken. Auch wenn Sie das Wort Enthauptung nicht aussprechen werden, es wird in Ihrem Kopf nachhallen.“
Mit „Gehorsam“ versuchen Greenaway und Boddeke eine zeitgenössische Interpretation eines der zentralen Mythen der jüdischen – aber auch christlichen und islamischen – Religion zu liefern. In gewissem Sinne knüpfen sie an Leonard Cohen und seinen Song „The Story of Isaac“ von 1969 an: Der kanadische Sänger wandte sich damit an diejenigen, die glauben, dass sie das Recht haben, im Namen eines erhabenen Ziels oder des Kampfs um Gerechtigkeit das Leben von Kindern zu opfern. Oder wie es Boddeke bei der Eröffnung auf den Punkt brachte: „Die Mehrheit der Kinder genießt kein gesichertes Leben. Und denen widmen wir diese Geschichte.“
Moderne und Mitleid
In 15 Bildern beziehungsweise Räumen faltet die Ausstellung ein psychologisches Drama über Tod und Gewalt auf. Den Auftakt liefern zwei legendäre Kunstwerke, denen das Abendland die Vorstellung von der „Opferung Isaaks“ verdankt: das gleichnamige Gemälde von Caravaggio und eine Druckgrafik von Rembrandt. Beide arbeiteten im 17. Jahrhundert, in einer von religiösem Streit geprägten Zeit, in der auch die Grundsteinlegung der Moderne erfolgte. Für Cilly Kugelmann, Programmdirektorin des Jüdischen Museums, geht das mit einer Vorliebe für seelische Befindlichkeiten und große Emotionen einher.
Diese waren Voraussetzungen für das Mitleid mit dem Opfer, Isaak, und für Fragen nach der Rechtfertigung von Abrahams Entschlossenheit, das Leben seines einzigen Sohns zu opfern, um die Gnade Gottes zu gewinnen. Vor allem Caravaggios Werk erschüttert uns, denn in der Entschlossenheit Abrahams wird der Gehorsam als ein brutaler physischer Akt gegenüber dem wehrlosen Opfer sichtbar.
In jeder monotheistischen Religion ist Gehorsam der zentrale Begriff, an dem über die Überlebensfähigkeit der Religion entschieden wird. Vom Gehorsam hängt alles ab. Gott fordert Gefolgschaft und ungeteilte Aufmerksamkeit als Preis für den Gottesbund. Das Symbol der Bereitschaft, an dieser Gefolgschaft teilzunehmen, ist im Judentum, im Christentum und im Islam die Opferung von Abrahams Sohn. An den Interpretationen dieses Ereignisses lassen sich die unterschiedlichen politischen Ideologien der drei Konfessionen erkennen. Doch die verschiedenen Deutungen der Bindung Isaaks – im Islam heißt er Ismael – und ihr politisches Potenzial lässt die Ausstellung unangesprochen.
In jedem der 15 Räume läuft ein Film, in dem Tänzer die biblische Geschichte interpretieren. Historische Exponate wie Kruzifixe, alte Manuskripte und Skulpturen verweisen auf die Spuren dieser Legende in den drei Religionen.
Damien Hirsts Installation „Black Sheep with Golden Horns“ (2009) steht dort vor dem Video der letzten Momente im Leben eines Widders; des Widders, der letztlich Isaaks Retter ist. Greenaway ist ein großer Verfechter der zeitgenössischen Kunst. Sie ist sein Glaube. In den 80er Jahren hat er mit einer einzigartigen, fast malerischen Filmsprache – er ist als Maler ausgebildet – den Status eines Kultregisseurs erlangt. Und er glaubt an neue Technologien, fest davon überzeugt, dass Künstler diesen Technologien gegenüber offenstehen müssen. So wie sich Vermeer der Camera obscura oder ein Impressionist des damals neuen Mediums der Fotografie bediente, darf der zeitgenössische Künstler Video und Computergrafik nicht ignorieren.
Auch Caravaggio würde es nicht tun: Davon ist Greenaway fest überzeugt und lässt Caravaggios Gemälde mithilfe der Video-Mapping-Technik – der sukzessiven, gezielten und pixelgenauen Beleuchtung einzelner Details – beleben. So entsteht ein vollblütiges Drama. Wie das Drama, das die Ausstellung beschließt und zugleich die Aktualität der Legende von Isaak (und Ismael) vor Augen führt: Auf drei Leinwänden verfolgen wir eine Collage aus den letzten Szenen der Tanzperformance und den Bildern der eingangs erwähnten Kinder, Opfer der Kriege des 21. Jahrhunderts: einige wie der christliche Isaak geduldig und stumm, einige weinend, einige wie Ismael machen mit, sind Kindersoldaten geworden. Aber alle sind Opfer des Glaubens.
■ „Gehorsam“, Jüdisches Museum Berlin, bis 13. September