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Archiv-Artikel

„Die Zukunft ist prinzipiell unsicher“

WIRTSCHAFTSWISSENSCHAFT Vor zehn Jahren gründete Gustav Horn das gewerkschaftsnahe IMK, nachdem ihn das DIW im Streit über die Agenda 2010 entlassen hatte. Gert G. Wagner gratuliert seinem Exkollegen

Gert G. Wagner

■ Der 62-jährige Ökonom ist Professor an der Technischen Universität Berlin und Mitglied im Vorstand des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW).

taz: Herr Wagner, es gibt schon viele Wirtschaftsforschungsinstitute in Deutschland. Trotzdem wurde vor genau zehn Jahren das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) gegründet. War das nötig?

Gert Wagner: Konkurrenz belebt das Geschäft. Es ist gut, dass es das IMK gibt.

Was macht das IMK anders?

Alle Institute nutzen moderne Methoden und Statistiken. Aber sie stellen jeweils unterschiedliche Fragen. Das IMK konzentriert sich sehr viel stärker als andere auf die ökonomischen Folgen der ungleichen Einkommens- und Vermögensverteilung.

Aber dringt das IMK mit seinen Ergebnissen überhaupt durch?

Ja. Eine Umfrage hat gezeigt, das IMK-Chef Gustav Horn auf Platz 5 jener Ökonomen liegt, deren Rat von Parlamentariern und hohen Ministerialbeamten besonders geschätzt wird.

Und wer liegt auf eins bis vier?

Ganz vorn ist ifo-Chef Hans-Werner Sinn, gefolgt vom Wirtschaftsweisen Peter Bofinger. Als nächstes kommen die Wirtschaftsprofessoren Clemens Fuest aus Mannheim und Rudolf Hickel aus Bremen.

Diese Ökonomen kommen allerdings zu sehr unterschiedlichen Ratschlägen. Kanzlerin Merkel hat sich auf dem Treffen der Wirtschaftsnobelpreisträger in Lindau beschwert, dass mit den Hinweisen der Wirtschaftsexperten nicht viel anzufangen sei.

Die Welt ist zu komplex, um zu eindeutigen Aussagen zu kommen. Das ist in anderen Disziplinen auch so, etwa in der Medizin. Reden Sie mal bei einer schweren Krankheit mit drei verschiedenen Ärzten – was ja empfohlen wird. Da werden Sie meist auch mit verschiedenen Therapie-Ratschlägen konfrontiert.

Aber in der Ökonomie fällt auf, dass die Empfehlungen meist diametral entgegengesetzt sind. Beispiel Griechenland: Hans-Werner Sinn empfiehlt rigoroses Sparen, Gustav Horn fordert ein Konjunkturpaket.

Diese Unterschiede sind nicht überraschend bei Problemen, die zum ersten Mal auftreten. Es ist eine völlig neue Frage, was passiert, wenn ein Land Staatsbankrott anmeldet, das sich in einer Währungsunion befindet. Das gab es zuletzt Anfang des 19. Jahrhunderts, als einige US-Bundesstaaten pleitegingen.

In der Ökonomie gibt es nicht nur Widersprüche zwischen den Prognosen – hinterher stellen sich oft alle Prognosen als falsch heraus.

Die Zukunft ist nun einmal prinzipiell unsicher. Auch Wetterprognosen sind nicht perfekt. Zudem spielen in der Ökonomie die kurzfristigen Handlungen der Menschen eine enorme Rolle – und Verhaltensänderungen lassen sich nur schwer vorhersagen.

Das IMK

■ wurde 2005 als Teil der gewerkschaftsnahen Böckler-Stiftung gegründet. Vorausgegangen war ein Streit im Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Deren Chef Klaus Zimmermann trimmte das früher ebenfalls gewerkschaftsnahe Institut auf einen Agenda-2010-freundlichen Kurs und verlängerte den Vertrag des Keynesianers Gustav Horn, Chef der Konjunkturabteilung, nicht. Horn gründete das IMK.

Wenn nichts in der Ökonomie sicher ist – warum wird dann ständig mit mathematischen Formeln hantiert und der Anschein erweckt, es handle sich um eine exakte Wissenschaft?

Die Rolle der Mathematik nimmt seit einigen Jahren wieder ab. Die Verhaltensforschung und das Studium von historischen Fallbeispielen werden wichtiger. Aber ganz kann man auf die Mathematik nicht verzichten. Sie hilft dabei, aus langen Zeitreihen vernünftige Informationen zu destillieren. Ein Beispiel: Wenn zwei Entwicklungen parallel ablaufen, kann es sich um eine Kausalität handeln – oder nur um eine Korrelation. Die Mathematik ist nützlich, um solche Fragen zu klären.

Welchen Rat hätten Sie an das Geburtstagskind IMK – und an alle anderen Ökonomen?

Wie kluge Ärzte sollten wir nicht zu viel versprechen. Und ansonsten sollten wir nicht lamentieren, dass keiner auf uns hört. Ökonomen werden viel häufiger in der Presse erwähnt als alle anderen Wissenschaftler.

INTERVIEW: ULRIKE HERRMANN