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Archiv-Artikel

Dicht dran an der Krise

NACHWUCHS Zum achten Mal präsentiert das Festival Transeuropa Performances und Theater in Hildesheim – wieder organisiert von Studierenden

Sie machen nicht viel mehr, als Klötze durch den Raum zu schieben, darüberzusteigen, die verschieden großen Quader in alle Richtungen zu kippen und sich daraufzusetzen. Für die vielfältigen Hindernisse, die freien Kunstschaffenden die Arbeit erschweren, stehen diese Quader. Mit klaren Handlungen und systematischem Kippen, Schieben und Besteigen stößt das österreichisch-estnische Duo an Grenzen, überwindet sie mithilfe der Zuschauenden, findet eine Lösung oder stellt sich eine neue Aufgabe. Bis es letztlich doch aufgibt.

Sööt/Zeyringer sind eines von drei Kollektiven, das für eine Arbeitsresidenz nach Hildesheim eingeladen wurde. Sechs Wochen lang hat das Performance-Duo sich mit der Frage „(Wie) wollen wir in Zukunft arbeiten?“ auseinandergesetzt, um dann die Performance „We will figure it out“ beim Transeuropa-Festival uraufzuführen, das am Mittwoch zum bereits achten Mal eröffnet wurde. Das Besondere an dem erklärt transnationalen Performance- und Theater-Nachwuchsfestival: Die künstlerische Leitung besorgen acht Studierende der Uni Hildesheim.

„Wir wollen ein anderes Narrativ Europas anbieten, als das ausgrenzend trutzige“, sagt Mitorganisator Felix Worpenberg. Bei der ersten Ausgabe, 1994, wenige Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, stand der Dialog zwischen Ost- und Westeuropa im Vordergrund. Dieses Jahr gab es erstmals keine festen Partnerländer. Stattdessen sollen die individuellen Arbeiten im Vordergrund stehen.

Gekommen ist auch diesmal ein homogenes Publikum. „Es war nicht einfach, Hildesheimer Bürgerinnen und Bürger abseits des Fachpublikums zu erreichen“, erklärt Theresa Frey im liebevoll gestalteten Festivalzentrum, das bis vor Kurzem noch eine Hochschule war. Durch Projekte wie den Hildesheimer Arbeiter*innenchor, der am Sonntag die sozialistische Arbeiterklasse besingt, soll nun ein breiteres Publikum erreicht werden. Für die Performance „Portrayed by children“ konnten sogar Hildesheimer Kinder gewonnen werden: Sie porträtieren die Gäste in Fotografie und Zeichnung und sollen somit die Hierarchie zwischen Jung und Alt hinterfragen.

Ermöglicht wurde Transeuropa auch diesmal vor allem durch ehrenamtliche Arbeit. Doch wie nachhaltig ist das projektbezogene, kollektive Arbeiten überhaupt? Es sei unglaublich anstrengend gewesen, den eigenen Arbeitsprozess immer parallel reflektieren zu müssen, sagt die Organisatorin Theresa Frey: „Wir wollen nicht die aktuellen Missstände bejammern, sondern neue Formen von Arbeit entwerfen.“

Dennoch sei faire Bezahlung im Kreativsektor immer wieder ein Thema gewesen. Es sei quasi unmöglich gewesen, das Team von sechzig Helfer*innen, das seit Wochen rund um die Uhr Schichten organisiert, Theken baut und Künstler*innen betreut, angemessen zu entlohnen. Immer wieder musste sich Frey zur Motivation die Frage stellen, wie dieses Festival werden müsse, damit sie gern dafür arbeite. Die Frage nach der zukunftsträchtigen, guten Arbeit wird immer drängender.

Antworten soll der festivalbegleitende zweitägige Kongress liefern, der am heutigen Samstag endet: Mit Vorträgen, Workshops und Diskussionen auf Englisch und Deutsch nähern sich Kulturschaffende aus ganz Europa der Krise der Kulturarbeit an. Der Eintritt ist frei.

Im Rahmen des erstmals derart komprimierten Kongresses, der auch die Entstehung von Theater sichtbar machen will, fand in der Nacht von Freitag auf Samstag die „Nachtschicht“ statt: Dieses Open-Map-Game führt das Publikum durch ganz Hildesheim. Dabei werden wenig gewürdigte Arbeitssituationen beleuchtet, etwa in der Pflege. Vielleicht, so eine Hoffnung, finden Kulturschaffende in diesen Branchen eine Antwort, einen Ausweg aus ihrer eigenen multiplen Krise.  KORNELIUS FRIZ

■ noch bis Mo, 1. Juni. Festivalzentrum: Kaiserstraße 43–45, Hildesheim www.transeuropa-festival.de