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Archiv-Artikel

Der Protest und seine Spuren

PERFORMANCE Das Live Art Festival in Hamburg untersucht die Wechselwirkungen von Choreografie und Widerstand. Eröffnet wird es mit einer inszenierten Konfrontation

„Wie bewahrt man Tanz und wie lernt man aus vergangenen Kämpfen?“

Omer Krieger

VON ROBERT MATTHIES

„Public Movement“ – öffentliche Bewegung. So heißt, ganz schlicht, das Forschungsprojekt, das der Israeli Omer Krieger, unter anderem Kurator des politischen Jerusalemer Kunstfestivals „Under the Mountain“, im Herbst 2006 gemeinsam mit Dana Yahalomi gegründet hat. Es untersucht mehr oder weniger deutlich als politisch erkennbare Aktionen in öffentlichen Räumen, es führt sie auf, stellt sie zur Disposition: Reenactments von Erinnerungszeremonien, von Pfadfinder-Übungen oder Lebensrettungsmaßnahmen, vom Besuch der Kanzlerin beim israelischen Premierminister oder von physischen Zusammenstößen an einer Straßenecke in Kiew.

Es ist die Choreografie des Kollektiven und die Art und Weise, wie sie in kulturellen Kontexten verwurzelt und eingewebt ist, die Krieger und Yahalomi interessiert. Seit inzwischen vier Jahren leitet Yahalomi das künstlerische Kollektiv allein. Aber auch Kriegers aktuelle Arbeit „Now (The Camp/The Clash)“, deren erster Teil am Samstag das Sommerprogramm der Stadtkuratorin Hamburg eröffnet und deren zweiter Teil dann zum Auftakt des siebten Live Art Festivals auf Kampnagel stattfindet, steht vor diesem Hintergrund.

An zwei ganz unterschiedlichen Orten inszeniert Krieger gemeinsam mit Hamburger KünstlerInnen da Choreografien öffentlicher Versammlungen. „Now (The Camp)“ bezieht sich auf das Gelände der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, auf das Lager als Symbol für Herrschaft und Kontrolle ebenso wie als Ort aktueller gesellschaftlicher Auseinandersetzungen. In einem performativen Rundgang sollen Politiken des Erinnerns, Trauerns und des Widerstandes vom Nationalsozialismus bis heute hinterfragt und aktualisiert werden.

Dabei bezieht sich Krieger auf ganz unterschiedliche Formen des öffentlichen (Nicht-)Erinnerns und des Protestes: 1938 wurde in Neuengamme ein Konzentrationslager errichtet, nach dem Krieg diente das Gelände als Transit- und Internierungslager, später entstand hier ein Gefängnis, das erst 56 Jahre später – und nach langen Protesten – geschlossen wurde. 1989 wiederum besetzte eine Gruppe von rund 50 Roma und Sinti das Gelände, um mit dem „Flüchtlingslager Neuengamme“ gegen ihre geplante Abschiebung zu protestieren. Seit 2005 besteht auf dem 55 Hektar großen Gelände die KZ-Gedenkstätte Neuengamme als Ausstellungs-, Begegnungs- und Studienzentrum.

„Die Idee ist, Erinnerungs- und Protestkultur zu verknüpfen und gemeinsam über diese Dinge nachzudenken“, erklärt Krieger das Projekt. Oft werde eine konflikthafte Geschichte für konsensuelle Themen instrumentalisiert, „damit die Leute zustimmen und sich einem bestimmten kollektiven Ideal unterwerfen“, sagt Krieger. „Wir untersuchen, wie wir uns selbst in Bezug auf diese Erinnerungskulturen befreien und unsere eigenen Erinnerungskulturen als Künstler und Bürger herstellen können. Was diese Dinge heute bedeuten und was sie bedeuten können, wenn man sie auf andauernde Ungerechtigkeiten und fortdauernde Repression bezieht.“

Auch der zweite Teil, „Now (The Clash)“, bezieht sich auf die Geschichte öffentlicher Choreografien ebenso wie auf aktuellen Protest: In der Hamburger Innenstadt wird da eine Konfrontation zwischen Staatsmacht und BürgerInnen inszeniert – und gefragt, welche Spuren öffentlicher Widerstand in Körpern und an politisch markanten Orten hinterlässt. „Wir erstellen so etwas wie ein choreografisches Archiv“, sagt Krieger: „Wie bewahrt man Tanz und wie lernt man aus vergangenen Kämpfen? Welchen Beitrag können sie zur zukünftigen Protestkultur leisten?“

Genau das ist auch das Thema des Live Art Festivals auf dem Gelände der Hamburger Kulturfabrik Kampnagel, dessen Auftakt „Now (The Clash)“ nun bildet: Wie spielen Choreografie und Protest zusammen? Welches Protest-Potenzial steckt in choreografischen Strategien? Ganz bewusst gehe es nicht darum, Protest auf die Bühne zu bringen, sagt die Dramaturgin Melanie Zimmermann, sondern um das Schaffen einer Plattform für KünstlerInnen, TheoretikerInnen und AktivistInnen.

„Wir haben es mal ‚Training für den Aufstand‘ genannt“, sagt Zimmermann. Es gebe viele Formate, bei denen Gruppen wie das „Laboratory of Insurrectionary Imagination“ Settings erarbeiten, damit KünstlerInnen diese Strategien erlernen. „Das hat uns in der ganzen Saison stark interessiert“, fasst Kampnagel-Intendantin Amelie Deuflhard zusammen: „Die Live Art geht ins Leben hinein. Wie kann man das gestalten?“

■ „Now (The Camp)“: Sa, 30. 5., 14 Uhr, KZ-Gedenkstätte Neuengamme. „Now (The Clash)“: Mi, 3. 6., und Do, 4. 6., je 18 Uhr, Heidi-Kabel-Platz, Hamburg

■ Live Art Festival: 3.–13. 6., Hamburg, Kampnagel