„Wahnsinnig viel verfügbar“

WISSENSTRANSFER Wie verändert sich mit dem Digitalen die Vermittlung von Wissen? Ein Barcamp sucht Freitag und Samstag Antworten darauf. Markus Weißkopf von Wissenschaft im Dialog über Open Science und den Nutzen für die Gesellschaft

■ 37, seit 2012 Geschäftsführer von Wissenschaft im Dialog; setzt sich unter anderem dafür ein, die übliche „One-Way-Kommunikation“ in der Wissenschaft aufzubrechen.

INTERVIEW ANNA BORDEL

taz: Herr Weißkopf, was genau ist ein Barcamp?

Markus Weißkopf: Ein Barcamp (Deutsch: Unkonferenz, Anm. d. Red.) ist eine sehr schöne, offene Methode, um eine Community einzuberufen und ein übergeordnetes Thema zu bearbeiten, ohne eine starre Struktur zu haben. Die Community weiß oft besser, was wichtig ist und was die heißen Themen sind, als wir das wissen können. Wir laden Leute ein, die sich selber einbringen, entweder mit einem Beitrag, einem Workshop, oder die etwas mitorganisieren. Ihren Beitrag stellen sie auf dem sogenannten großen Marktplatz vor und dann wird ein Plan für die beiden Veranstaltungstage gemacht.

Wer ist die Community?

Die Community sind alle Leute, die sich mit dem Thema Open Science beschäftigen. Die sich dafür engagieren, dass Wissen öffentlich und für alle verfügbar wird. Zum Beispiel Entwickler, Gestalter, Stadtplaner, Architekten oder Soziologen.

Was bedeutet Open Science?

Es geht darum, wie sich Wissenschaft der Gesellschaft öffnen kann. Schon bei der Fragestellung kann man versuchen, eine gesellschaftlich relevante Fragestellung zu finden. Die Gesellschaft kann zum Beispiel beim Daten sammeln eingesetzt werden, das sind die Citizen-Science-Ansätze. Und vor allem geht es darum, wie man die Ergebnisse an die Öffentlichkeit kommuniziert und populärwissenschaftlich aufbereitet.

Was ist an Open Science reizvoll für die Wissenschaftler?

Wissenschaftler können gemeinsam produktiver arbeiten. Ich glaube auch, dass viele Forscher die frühe Veröffentlichung ihrer Arbeit im Anfangsstadium nutzen, um sich Feedback zu holen, von Fachkollegen. Es ist aber auch spannend, dass es Feedback von der Gesellschaft gibt. In Österreich gibt es ein schönes Open-Innovation-Projekt vom Ludwig-Boltzmann-Institut, das im medizinischen Sektor zu psychischen Erkrankungen Fragen von der Gesellschaft einfordert. Die fragen einfach danach, was sie erforschen sollen.

Was hat die Gesellschaft davon?

Sie gelangt an Wissen. Das ist natürlich auch auf wirtschaftlicher Ebene interessant. Entwickler können aufgrund von offenen Daten Apps entwickeln. Zum Beispiel habe ich jemanden kennengelernt, der mit seinem Sohn das Projekt „Make a Wish“ entwickelt hat. Der Nutzer kann im Bezirk Lichtenberg Orte anklicken, die er verändern möchte. Er kann sich zum Beispiel für eine Schule oder einen Spielplatz eine neue Schaukel wünschen.

Haben Wissenschaftler Angst

davor, dass ihre Forschungsansätze von anderen geklaut werden, wenn sie die für alle zugänglich machen?

Ideenklau ist in gewissen Bereichen eine Gefahr. Gerade wenn es um technologische Neuerungen geht. Und natürlich ist der Wettbewerb sehr hart. Gerade Nachwuchsforscher haben unbewusst Angst davor, zu viel öffentlich zu machen. Diese Konkurrenzkultur zu wandeln, ist ein großes Ziel.

■ Die Organisation Wissenschaft im Dialog veranstaltet am Freitag und Samstag ein Barcamp zum großen Themenbereich „Open Science – freier Zugang zum Wissen für alle“. Über die konkreten Inhalte werden die Teilnehmer vor Ort selbst abstimmen.

■ Mehr Informationen unter: www.wissenschaft-kontrovers.de/open-city-open-knowledge-open-community/

Besteht die Gefahr, dass sich für die Inhalte niemand im Einzelnen verantwortlich fühlt?

Schwarze Schafe gibt es immer. Ich glaube schon, dass es Strukturen geben muss, wie man solche Projekte organisiert – egal, ob in wissenschaftlichen Organisationen oder zwischengeschalteten Institution wie Wikipedia. Wikipedia hat sich eine Struktur überlegt, die ziemlich gut funktioniert. Es ist unvorstellbar, welche Menge an Daten die verwalten und prüfen.

Und trotzdem gilt Wikipedia an Universitäten nicht als verlässliche Quelle.

Letzten Endes ist Wikipedia nicht wissenschaftlich peer-reviewed, das ist klar. Obwohl im Moment zunehmend hinterfragt wird, ob die wissenschaftliche Peer-Review (Verfahren der wissenschaftlichen Qualitätssicherung, Anm. d. Red.) auch in Zukunft als Standard gelten soll.

Was ist an traditionellem Wissenstransfer auszusetzen?

Früher funktionierte das so, dass es in einem Journal einen wissenschaftlichen Artikel gab und der Wissenschaftsjournalist bekam eine Woche vorher die Mitteilung und den Zugang zu der Forschungsarbeit – dann wurde auch ein Artikel in einer Zeitung veröffentlicht. Das ist ein System, was mehr und mehr durchbrochen wird. Die Neuigkeiten aus der Wissenschaft werden mittlerweile in Blogs kommuniziert. Typische Wissenschaftsjournalisten gibt es kaum noch. Es gibt aber dafür YouTube-Kanäle. Leute googeln oder schauen bei Wikipedia nach. Das Informationsverhalten der Gesellschaft hat sich vollkommen gewandelt. Da draußen ist wahnsinnig viel Wissen verfügbar. Wir können viel mehr daraus machen.