: „Graffiti sind unbändig“
EGOTRIP Vortrag über die Streetart als Strategie, um sich die öffentlichen Räume zurückzuerobern
■ 49, ist Mitherausgeber des Bandes „Free OZ. Streetart zwischen Revolte, Repression und Kommerz“ und in der Roten Flora aktiv.
taz: Herr Blechschmidt, warum wollen Sie saubere Fassaden schmutzig machen?
Andreas Blechschmidt: Darum geht es nicht. Streetart, Urban Art und auch Graffiti verstehen sich als Raumaneignung – zum Beispiel an Betonbrückenpfeilern, ehemaligen Weltkriegsbunkern und anderen Stadtmöblierungselementen. Die haben überhaupt nichts mit Häuserfassaden zu tun, wegen derer sich der deutsche Eigenheimbesitzer angegriffen fühlen muss.
Wo ist der Unterschied zwischen Schmiererei und Kunst?
Da maße ich mir kein Urteil an. Grundsätzlich haben nicht nur motivische Graffiti, sondern auch Buchstabenkürzel im öffentlichen Raum ihre Berechtigung. Sie machen den Einzelnen in Stadtlandschaften sichtbar. Selbst vermeintliche Kritzeleien können eine Raumaneignung und ein Statement sein.
Man könnte das Sprühen auch als großen Egotrip der Sprayer sehen, die die Stadt mit ihrem Namen zupflastern wollen.
Ich weiß nicht, ob die Elbphilharmonie nicht der größere Egotrip ist von Leuten, die sich anmaßen, ein ganzes Stadtbild zu dominieren. Und wenn ich mir die Ästhetik mancher Stadtautobahnen anschaue, dann halte ich das auf jeden Fall für den bedenklicheren Egotrip als Edding-Signaturen im öffentlichen Raum.
Haben Graffitis denn per se eine politische Dimension?
Ich behaupte, dass Graffiti per se eine kommunikative Funktion haben. Am Beispiel des verstorbenen Sprayers Oz sieht man, dass er, indem er Smileys etwa auf Rückseiten von Straßenschilder gesprüht hat, etwas sichtbar gemacht hat, das man sonst gar nicht betrachtet hätte. Das ist für mich eine kommunikative Strategie im öffentlichen Raum – und die ist immer politisch.
Was macht die Graffitis von Oz so bemerkenswert?
Er wird meist mit Smileys und seinem Kürzel assoziiert, war aber auf verschiedenen Ebenen aktiv. Oz hat Beton im Stadtbild farblich gestaltet. Seinem Anspruch, wieder mehr bunte und auch natürliche Farben in das städtische Beton-Allerlei zu bringen, ist er gerecht geworden.
Müssen Graffiti illegal sein oder wirken sie auch auf ausgewiesenen Flächen?
Sie müssen illegal sein. Graffiti sind unbändige, nicht kommerzialisierbare Kommunikation. Viele legale Flächen sind teil einer Inszenierung von Raum. Das schließt kreative Graffitikunst aus. INTERVIEW: REA
Vortrag „Streetart als subversive Strategie der Raumaneignung“: 18.30 Uhr, Kontrabar Haw (R 0.15), Alexanderstraße 1